Munitionsbelastete Flächen
1. Die im Rahmen des Ergebnisberichts erstellte Karte (Abbildung 2, für Detailansichten siehe Anhang des Ergebnisberichts) weist 21 munitionsbelastete Flächen (davon 7 Munitionsversenkungsgebiete) in deutschen Meeresgewässern der Nordsee sowie 50 munitionsbelastete Flächen (davon 8 Munitionsversenkungsgebiete) und 21 Verdachtsflächen im Ostseebereich aus.
2. Es ist davon auszugehen, dass nach wie vor nur ein geringer Teil der tatsächlich durch Kampfmittel belasteten Flächen bekannt ist. Die Informationslage ist lückenhaft. Fakten wurden nur teilweise dokumentiert und viele in Archiven vorhandene Berichte konnten bis heute noch nicht aufgearbeitet werden.
Für Mecklenburg-Vorpommern fehlen zum Beispiel belastbare Daten zu Versenkungsmaßnahmen aus der Zeit nach 1945, auf deren Durchführung jedoch Aussagen von Zeitzeugen hinweisen.
Art, Eigenschaften und Menge der subaquatischen Kampfmittel
1. Generelle Informationen über die verschiedenen Arten und Eigenschaften von konventionellen und chemischen Wirkmitteln, Waffen und Munition sind in befriedigender Weise vorhanden und zugänglich.
2. Als unbefriedigend stellt sich die Sachlage hinsichtlich der Quantität einstmals versenkter und teils bereits wieder geborgener Kampfmittel dar. Da insbesondere für den Ostseebereich nur wenig detaillierte und somit lückenhafte Angaben vorliegen, kann keine genaue Aussage zur tatsächlichen Menge der heute noch im Meer befindlichen Kampfmittel gemacht werden:
Die Menge der in deutschen Meeresgewässern lagernden konventionellen Kampfmittel wird auf bis zu 1.600.000 t geschätzt. Für die deutschen Nordseegewässer wird eine Belastung von bis zu 1.300.000 t angenommen. Für die deutschen Ostseegewässer haben Behörden bisher eine Belastung von bis zu 300.000 t kommuniziert. Aufgrund der unklaren Datenlage für den Ostseebereich muss diese Schätzung allerdings als wenig belastbar angesehen werden.
Die Informationslage für chemische Kampfmittel ist erheblich besser:
Im Helgoländer Loch liegen ca. 90 t dort versenkte, mit dem Nervenkampfstoff Tabun gefüllte Artilleriegranaten. Im Kleinen Belt lagern derzeit noch ca. 5.000 t mit Phosgen sowie Tabun gefüllte Kampfstoffmunition (Bomben und Granaten), begraben in einer bis zu 8 m mächtigen Sedimentschicht. Weitere dort zunächst versenkte rund 1.000 t Tabun-Granaten wurden bereits 1959/1960 wieder gehoben. Es ist anzunehmen, dass auf den ehemaligen Zufahrtswegen vom Verladehafen Wolgast in das Versenkungsgebiet des Bornholm-Beckens sehr vereinzelt weitere Munition vorhanden ist.
Zustand und Interaktion subaquatischer Kampfmittel mit dem marinen Milieu
1. Im Rahmen der bisherigen Untersuchungen wurden sowohl intakte Kampfmittel als auch vollständig korrodierte Hüllen ohne Wirkmittel gefunden. Belastbare Aussagen über bereits stattgefundene und zukünftig noch zu erwartende Korrosionsraten und die damit verbundene Freisetzung von Wirkmitteln in Wasser und Sediment sind nicht möglich.
Die Korrosion von subaquatischen Kampfmittelkörpern kann aufgrund der diesem Prozess innewohnenden komplexen Zusammenhänge nicht generalisierend bewertet werden. Es müssten für jeden Lageort zahlreiche Parameter betrachtet werden, die von den grundlegenden Eigenschaften der subaquatischen Kampfmittelkörper wie Materialzusammensetzung und Hüllenstärke, über die lokalen Gegebenheiten der Umgebung und die Lage des einzelnen Kampfmittels, bis hin zu den physikochemischen Gegebenheiten des umgebenden Wassers beziehungsweise Sediments reichen.
2. Ein schlagartiges und gleichzeitiges Aufbrechen mehrerer noch intakter Kampfmittelhüllen als Folge von Korrosion, gefolgt von einer konzentrierten Freisetzung der enthaltenen Wirkmittel in die marine Umgebung ist aufgrund der Diversität an Behältnistypen, Lageorten und lokalen Umgebungsbedingungen sehr unwahrscheinlich. Eine räumlich breit gestreute und zeitlich sukzessive Freisetzung der Wirkmittel (einschließlich Kampfstoffe) über Jahre oder Jahrzehnte hinweg aus nahezu allen bisher noch ausreichend intakten Behältnissen im Rahmen von Korrosion ist allerdings als wahrscheinlich anzusehen.
Einzelne ungeklärte Ereignisse in deutschen Gewässern wurden mit Selbstdetonationen in Zusammenhang gebracht. Eine Freisetzung größerer Mengen sprengstofftypischer Verbindungen im Wege einer Selbstdetonation bewerten die Kampfmittelräumdienste für deutsche Gewässer als sehr unwahrscheinlich.
3. Freigesetzte Wirkmittel bzw. Munitionsinhaltsstoffe interagieren mit der marinen Umwelt in Abhängigkeit ihrer chemischen Eigenschaften sowie der physikochemischen Parameter der lokalen Umwelt. Während bestimmte Verbindungen zur schnellen Reaktion mit Wasser (Hydrolyse) neigen und nur kurzzeitig in der marinen Umgebung vorkommen, ist ein langfristiges Verweilen (Persistenz) von in Wasser nur schwer löslichen oder gegenüber Hydrolyse unempfindlichen Verbindungen möglich. Obwohl sich aus einer denkbaren Persistenz prinzipiell auch die Möglichkeit einer Bioakkumulation (Anreicherung in Lebewesen, vor allem im Rahmen der Nahrungskette) dieser Substanzen oder ihrer Folgeprodukte ergibt, haben wiederholt durchgeführte Untersuchungen diese Vermutung bisher nicht bestätigen können.
Unfälle und Gefährdung durch subaquatische Kampfmittel
1. In deutschen Küstengewässern der Nord- und Ostsee sowie der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) vorgekommene Unfälle und Zwischenfälle mit subaquatischen Kampfmitteln wurden von verschiedenen Autoren, unter anderem Dr. Stefan Nehring und Dr. Marc Koch, recherchiert und dokumentiert. Offiziell überprüfte Aufstellungen über Unfälle in den deutschen Küstengewässern und der AWZ liegen aufgrund fehlender personeller und zeitlicher Ressourcen bisher nicht vor.
Die Anzahl der Vorkommnisse hat im Laufe der Jahre in beiden Meeren abgenommen. Die Mehrzahl, insbesondere von Unfällen mit Todesfolge, ereignete sich in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg bis ca. 1960. Aktuell wird jedoch immer wieder aus Brandbomben stammender weißer Phosphor an den Stränden Usedoms aufgefunden, der in seinem Erscheinungsbild als Bernstein fehlinterpretiert und aufgesammelt werden kann. Phosphorbrocken entzünden sich nach erfolgter Trocknung selbst, was zu Unfällen führt, die entsprechend insbesondere Strandbesucher betreffen. In den übrigen Gebieten der Nord- und Ostsee sind Funde weißen Phosphors an Stränden bisher nur vereinzelt registriert worden.
2. Gefährdungen sind prinzipiell gegeben, wenn Munition absichtlich (z.B. zwecks Untersuchung) oder unabsichtlich (zum Beispiel durch Fischerei mit Grundschleppnetzen) gehoben wird, als Folge möglicherweise explodiert und die Inhaltsstoffe freisetzt, wenn Munition oder Wirkmittel (z.B. Phosphor) durch Strömung an die Küsten gelangen und dort unsachgemäß behandelt werden, wenn ein direkter Kontakt mit den Inhaltsstoffen der Munition zustande kommt oder Meeresprodukte (z.B. Fische) durch Inhaltsstoffe der Munition kontaminiert werden.
3. Im hier betrachteten Zusammenhang sind Kampfmittel grundsätzlich als latente Gefahrenquellen anzusehen, die eine Gefährdung für Tätigkeiten im marinen Bereich, die Umwelt und den Küstenbereich darstellen.
- Eine Gefährdung strandnaher Küstenbereiche ist aufgrund der Strömungsverhältnisse in Nord- und Ostsee unwahrscheinlich.
Mit Ausnahme der Funde von weißem Phosphor, insbesondere im Bereich Usedom, sind nur wenige Fälle des Auffindens von Kampfmitteln in strandnahen Bereichen bekannt (gefolgt von entsprechenden Beseitigungsmaßnahmen). In diesen Fällen kann es bei einem Aufeinandertreffen von Kampfmitteln beispielsweise mit Badegästen, Schnorchlern und Tauchern zu Gefahrensituationen kommen.
- Eine latente Gefährdung besteht für die Seefahrt im Allgemeinen sowie für Personen, die im marinen Bereich unter direktem und indirektem Grundkontakt tätig sind [z.B. in den Bereichen Taucherei, (Schleppnetz-) Fischerei, bei seeseitigen Bauvorhaben wie dem Bau von Offshore-Anlagen, Pipeline-Verlegungen und Fahrrinnenanpassungen].
4. Untersuchungen zu den ökologischen Gefahren subaquatischer Kampfmittel sind bisher nur vereinzelt durchgeführt worden. Alle vorliegenden Ergebnisse bestätigen die Einschätzung, dass bisher keine erhebliche, großräumige Belastung der Meeresumwelt durch Kampfmittel beziehungsweise deren Komponenten stattgefunden hat, und wahrscheinlich auch nicht zu erwarten ist.
- Sowohl die betreffenden konventionellen als auch die chemischen Wirkmittel gelten größtenteils als wassergefährdende Stoffe. Sie weisen i. d. R. eine hohe Toxizität und ein hohes ökotoxisches Potenzial auf und stehen insbesondere im Verdacht, krebserzeugende, erbgutverändernde und/oder die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigende bzw. das Kind im Mutterleib schädigende Wirkungen zu zeigen (so genannte CMR-Stoffe – cancerogen (kanzerogen), mutagen, reproduktionstoxisch).
- Eine Gefährdung des Verbrauchers durch möglicherweise kontaminierte marine Produkte, insbesondere Nahrungsmittel, ist nach derzeitigem Kenntnisstand als äußerst unwahrscheinlich einzuschätzen. Es sind keine in diese Richtung deutenden konkreten Belege bekannt.
Methoden der Beseitigung
Methoden zur Detektion und Beseitigung von Kampfmitteln sind insbesondere im letzten Jahrzehnt weiterentwickelt worden. Technische Möglichkeiten zur Beseitigung im Meer lagernder Kampfmittel stehen heute weitgehend zur Verfügung. Ihre Anwendbarkeit ist von den jeweils vorherrschenden Rahmenbedingungen abhängig und im Einzelfall zu prüfen.
Eine Minderung der Schallemission bei der absichtlichen Sprengung konventioneller Kampfmittel und eine Reduzierung der damit einhergehenden Gefährdung heimischer Meeressäuger konnte durch den Einsatz von Blasenvorhängen erreicht werden. Weiterhin wurden Versuche zum marinen Einsatz der Wasserstrahlschneidetechnik bei Sanierungen von subaquatischen „Kampfmittelaltlasten“ direkt am Fundort unternommen. Die Anpassung von unbemannten Tauchrobotern auf die Anforderungen an den Umgang mit Kampfmitteln im marinen Bereich ist weitgehend erfolgt.
Überwachung der subaquatischen Kampfmittel
1. Weltweit wächst in der letzten Dekade die Zahl der Untersuchungen und Bewertungen zur im Meer vorhandenen Munition. Die Mehrzahl der Studien befasst sich mit chemischen Kampfstoffen.
In den deutschen Meeresgewässern sind einige Untersuchungen zu den Belastungen und ökotoxikologischen Auswirkungen konventioneller Munition durchgeführt worden. Die Konzentrationen der sprengstofftypischen Verbindungen im Wasser lagen unterhalb der Bestimmungsgrenze. Dies traf im Wesentlichen auch auf die untersuchten Sediment- und Biotaproben zu: nur vereinzelt konnten im Sediment sprengstofftypische Verbindungen nachgewiesen werden, deren Konzentration allerdings meist nur geringfügig über der Bestimmungsgrenze lag.
2. Eine Dauerbeobachtung (Monitoring) der Meeresumwelt auf kampfmittel- beziehungsweise sprengstofftypische Verbindungen und deren Auswirkungen auf die Meeresumwelt findet bisher nicht statt.
Melde- und Berichtswesen
In Deutschland nehmen verschiedene Stellen die Meldung von Munitionsfunden entgegen. Es gibt keine* zentrale Stelle, an der das Berichtswesen koordiniert und alle Meldungen zusammengeführt werden. Dies erschwert den Prozess der für Deutschland verpflichtenden und international vereinbarten Meldungen an die entsprechenden Kommissionen (OSPAR, HELCOM).
*) seit 2013 gibt es eine die Zentrale Meldestelle für Ereignisse mit Fundmunition