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Munitionsbelastung der deutschen Meeresgewässer

Gesamtbewertung 2021

Auf Veranlassung der 93. Umweltministerkonferenz wurde die Gesamtbewertung vom 5. Dezembr 2011 aktualisiert.

Erkenntnisse über die in den Projekten untersuchten Gebiete, die Erhaltungszustände beschriebener Munitionskörper, die damit verbundenen umweltrelevanten Aspekte sowie anderweitig aktuelle Sachstände sind in die eine aktuelle Gesamtbewertung eingeflossen. Daraus ergibt sich zusammenfassend folgende aktuelle Gesamtbewertung.

Letzte Aktualisierung: 01.09.2021

Gesamtbewertung 2021

Von Munition in Nord- und Ostsee gehen vielfältige Gefahren für Mensch und Umwelt aus. Das Risiko ergibt sich aus Art und Dichte der Kampfmittelbelastung und der Form der Nutzung der Meeresgebiete, Ufer und Strände.

Aus jetzt vorliegenden Forschungsergebnissen ist abzuleiten, dass im Bereich munitionsbelasteter Meeresgebiete von einem erhöhten Gefährdungspotential für die Meeresumwelt auszugehen ist. Unter Berücksichtigung der erheblichen Munitionsmengen sowie der fortschreitenden Korrosion sind Beeinträchtigungen der Meeresumwelt einschließlich des marinen Nahrungsnetzes nicht mehr auszuschließen und müssen weiter untersucht werden.

Vor dem Hintergrund der weiter zunehmenden Meeresnutzung besteht eine besondere Gefährdung für Personengruppen, die im marinen Bereich mit Grundberührung tätig sind.

In der Konsequenz sollten Forschung und Technologieentwicklung verstärkt werden, um die von den Kampfmitteln tatsächlich ausgehenden Risiken rechtzeitig zu erfassen. Darüber hinaus besteht erkennbarer Bedarf an sachgerechten Optionen zur Vorsorge und zum Umgang bis hin zur Bergung und umweltgerechten Entsorgung.

Forschungstaucher über einer britischen Grundmine.
Forschungstaucher über einer britischen Grundmine, im Hintergrund sieht man den Auftriebskörper einer Auslage mit Miesmuscheln.

Begründung

Der kurzen Darstellung des Gefahrenpotentials von Kampfmitteln im Meer folgt eine ausführlichere Begründung, wie im Bericht 2011 nach Schutzgütern gegliedert. Es ist zu beachten, dass in diesem Bericht auch wesentliche Aspekte nur kurz zusammengefasst dargestellt werden können. Auf Beschluss der Umweltministerkonferenz wird nun auch eine aktuelle Fassung des Langberichts erarbeitet.

Gefahrenpotential von Kampfmitteln im Meer

Aufgrund ihrer weiten Verteilung und der eingebrachten Menge (ca. 1,6 Mio. Tonnen insbesondere durch gezielte Versenkung nach dem 2. Weltkrieg) überwiegen in deutschen Meeresgebieten Risiken aus konventioneller Munition im Vergleich zu chemischer Munition (ca. 5.090 Tonnen). Der aktuelle Zustand der Munition in deutschen Meeresgewässern kann je nach örtlichen Umweltbedingungen und dem Zeitpunkt sowie der Art der Einbringung von „sehr gut erhalten“ bis „vollständig korrodiert“ variieren.

Munitionssprengungen zeigen, dass die Sprengwirkung von Kampfmitteln trotz langer Verweildauer unter Wasser nicht abnimmt. Dies wurde durch stichprobenartige Untersuchungen geborgener Kampfmittel aus dem Fahrwasser der Kieler Förde und entlang des Kiel-Ostsee-Weges bestätigt. Die Gefahren einer Explosion bestehen also weiter fort. Sprengstoffe verlieren durch Alterungsprozesse zudem an chemischer Stabilität (Pfeiffer 2017); die Schlagempfindlichkeit nimmt zu (Abbondanzieri et al. 2018). Die sensitiven Sprengstoffe im Zünder sind von dieser Entwicklung besonders betroffen, die vergleichsweise stabilen Wirkladungen aber nicht ausgenommen.

Mit einer verringerten mechanischen Stabilität der Munitionshüllen (z. B. durch Korrosion) können auch Optionen einer mechanischen Behandlung bei einer Bergung verloren gehen. Das Risiko einer ungewollten Umsetzung infolge mechanischer Einwirkungen von außen steigt, sowohl bei bezünderter als auch bei unbezünderter Munition. Weiter ist zu beachten, dass mit zunehmender Korrosion das Auffinden von Munition im Meer deutlich erschwert wird, da alle gängigen Sondierungsmethoden auf der Detektion der Metallhüllen basieren. „Offener“ Sprengstoff kann unter Wasser derzeit nicht direkt geortet werden.

Punktuell kommt es zu Funden von Kampfmitteln, losem Sprengstoff und Brandmittelresten (weißer Phosphor) an Stränden. Der u.a. in Brandbomben enthaltene weiße Phosphor bleibt langfristig intakt und entzündungsfähig. Direktkontakte mit Personen werden in seltenen Fällen beobachtet (Preuß-Wössner et al., 2020).

Mit zunehmender Korrosion der Metallhüllen setzen Kampfmittel ihre toxischen Inhaltsstoffe frei (Beck et al. 2019). Diese verteilen sich in der Meeresumwelt und reichern sich unter Umständen entlang der Nahrungskette an.

Meeresumwelt

Die bisher durchgeführten Forschungsprojekte lassen sich zwei unterschiedlichen Phasen zuordnen. Bis 2016 dienten sie überwiegend der Problemanalyse, der Methodenentwicklung und ihrer Validierung. Der internationale Austausch und die Projekte MERCW, CHEMSEA und MODUM schufen wesentliche Grundlagen der umfassenderen Vorhaben UDEMM, RoBEMM und DAIMON. Diese drei letztgenannten Projekte liefern umfangreiche Erkenntnisse zum Zustand und erste Hinweise auf mögliche Umweltauswirkungen von konventioneller Munition in deutschen Meeresgewässern.

Umfangreiche Studien im Versenkungsgebiet Kolberger Heide verdeutlichen die Verbreitung von TNT und anderen sprengstofftypischen Verbindungen (STV), ihrer Abbauprodukte und Metabolite bis hinein in das marine Nahrungsnetz. Eingehende Untersuchungen ergaben, dass die Korrosion von Munitionskörpern z.T. stark fortgeschritten ist und dort Sprengstoffe teilweise bereits offen am Meeresgrund liegen (Kampmeier et al. 2020). STV und deren Abbauprodukte und Metabolite konnten zudem im Wasser, im Sediment und in Meeresorganismen (u.a. Miesmuscheln, Plattfische (Klieschen)) in erhöhter Konzentration nachgewiesen werden (Appel et al. 2018, Beck et al. 2018; Gledhill et al. 2019; Koske et al. 2020; Maser & Strehse 2020; Strehse et al. 2017; Strehse & Maser 2020). Am Rande des Versenkungsgebiets lebende Klieschen zeigen im Vergleich zu Referenzstandorten signifikant erhöhte Lebertumorraten (Lang et al. 2019). Dies ist ein Hinweis darauf, dass STV und ihre Abbauprodukte und Metabolite sich negativ auf die Gesundheit von Meeresorganismen auswirken können. Dies wird weiter untersucht (TI-FÖ 2019). Aktuelle Forschungsergebnisse bestätigen zudem, dass Quecksilber aus Zündern eine weitere mögliche Belastungsquelle für die Meeresumwelt darstellen (Bełdowski et al. 2019; Siedlewicz et al. 2019).

Weit über den lokalen Bereich der munitionsbelasteten Flächen hinaus sind heute Spuren (ng/Liter) von STV im Wasser der westlichen Ostsee nachweisbar (Greinert et al. 2019). Durchgeführte Transportmodellierungen geben zudem erste Aufschlüsse über die zu Grunde liegenden räumlichen Verteilungsmechanismen der STV nach ihrer Freisetzung aus dem Munitionskörper (Beck et al. 2019; UDEMM Homepage 2019: AP 2 IOW). Neueste, bisher noch unveröffentlichte Ergebnisse aus dem EU Projekt North Sea Wrecks weisen zudem darauf hin, dass STV ebenfalls in der Meeresumwelt der Nordsee nachweisbar sind (NSW Projekt Meeting 2020).

Aus den vorliegenden Forschungsergebnissen ist abzuleiten, dass im Bereich von Versenkungsgebieten und sonstigen munitionsbelasteten Flächen von einem erhöhten Gefährdungspotential für die Meeresumwelt auszugehen ist. Unter dem Gesichtspunkt der zwangsläufig fortschreitenden Korrosion ist ein weiterer Anstieg der freigesetzten STV zu erwarten und kann zu erhöhten Belastungen führen. Langfristige Effekte der freigesetzten STV und ihrer Abbauprodukte und Metabolite auf marine Organismen, die marine Nahrungskette sowie Effekte auf den Menschen unter dem Gesichtspunkt der Lebensmittelsicherheit werden derzeit weiter untersucht (vgl. Kapitel 3.3).

Anders als im Bericht 2011 bewertet, sind auf Grundlage der nun vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und unter Berücksichtigung der in Nord- und Ostsee befindlichen erheblichen Munitionsmengen, großräumige Beeinträchtigungen der Meeresumwelt nicht mehr auszuschließen und müssen weiter untersucht werden.

Mensch und Meeresnutzungen

Durch die vielfältige Nutzung der Meere ergeben sich Risiken durch alte Kampfmittel. Aus diesem Grunde ist sorgfältige Prävention (Gefahrenanalyse, Gefährdungsbeurteilung, ggf. Maßnahmen zum Risikomanagement) in deutschen Meeresgebieten und Küsten geboten.

Im Sektor Seeschifffahrt sind nach wie vor Gefährdungen durch Munition erkennbar. In den zurückliegenden Jahren wurden Besonderheiten einiger Seegebiete erkannt, die hier zur Verdeutlichung der nach wie vor bestehenden oder ggf. erweiterten Gefährdungslage erwähnt werden. Die weiter andauernden Untersuchungen des Verkehrstrennungsgebiets Kiel-Leuchtturm seewärts entlang des Kiel-Ostsee-Wegs (Kieler Bucht) ergaben eine erhebliche Munitionsbelastung mit entsprechendem operativen Handlungsbedarf. So wurden im Jahr 2018 insgesamt 221 Munitionskörper aus dem Fahrwasser der Kieler Förde geräumt (Böttcher et al. 2018).

Internationale Archivrecherchen haben ergeben, dass zwischen den Jahren 1940 und 1945 3.896 britische Grundminen in die Kieler Bucht eingebracht wurden. Während und nach dem Krieg wurde der überwiegende Teil dieser Minen geräumt. Der Umfang und die Verteilung des angenommenen Restbestandes von etwa 20% der eingebrachten Menge bleibt zunächst ungeklärt. In den letzten Jahren wurden 192 dieser Grundminen, überwiegend entlang der heute genutzten Schifffahrtsrouten lokalisiert, verlagert oder gesprengt.

Aktuelle Gutachten zur Schlagempfindlichkeit gealterten Sprengstoffs (s. Kap. 3.1) weisen diesbezüglichen auf eine erhöhte Gefährdung durch britische Grundminen hin. Diese Blindgänger am Meeresgrund können durch mechanische Einwirkungen von Ankern, Schleppnetzen oder Kabellegewerkzeugen zur Detonation gebracht werden. Darüber hinaus stellt die erhöhte Schlagempfindlichkeit derzeit ein Räumhindernis dar (Pfeiffer 2017).

Fortlaufende Untersuchungen in der Nordsee verdeutlichen im Bereich Minsener Oog (Böttcher et al. 2015 und 2018; Agarius 2019, Gäbe 2019), dass es entlang von Schifffahrtsrouten mit räumlicher Nähe zu Versenkungsgebieten zu erhöhten Munitionsfunden kommen kann.

Im Zuge der zunehmenden Errichtung von Offshore-Anlagen wie Windenergieanlagen und Plattformen sowie der Verlegung von Seekabeln und Pipelines kommt es bei den gezielten Voruntersuchungen häufig zu Kampfmittelfunden. So wurden im Zeitraum von 2014-2019 allein für die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) der Nord- und Ostsee 362 Munitionsfunde bei der Zentralen Meldestelle gemeldet (vgl. Jahresberichte). Dort besteht kein räumlicher Bezug zu bekannten Versenkungsgebieten. Diese Funde sind vielmehr Überreste von Kriegshandlungen wie etwa Minensperren und Notabwürfen von Bomben (Nordsee) oder von Schießgebieten (Ostsee), wie durch Archivrecherchen bestätigt wurde. Die jeweiligen Funde sind in der Regel verbunden mit anschließenden Räummaßnahmen durch Firmen, um die notwendige Kampfmittelfreiheit herzustellen. Im Zuge des weiteren Ausbaus der Offshore Windenergie im Rahmen der Energiewende sind die mit Munition im Meer verbundenen Risiken genau zu betrachten.

Die für die Fischerei und die Nassbaggerei im Bericht des Jahres 2011 beschriebenen Risiken bestehen fort. Rund zehn Mal im Jahr melden Besatzungen den Behörden Munitionskörper im Fang oder an Bord eines Baggerschiffs. Es darf eine hohe Dunkelziffer angenommen werden. Ferner belegen aktuelle Forschungsergebnisse, dass durch Grundschleppnetzfischerei ursprünglich kumuliert eingebrachte Munition räumlich auf dem Meeresgrund ausgebreitet wird (DAIMON, Måseskär, 2019).

Technische Vorkehrungen in Baggerschiffen haben sich als Vorsorgemaßnahme bei der Sedimententnahme für den Küstenschutz bewährt (Böttcher, et al. 2016, 2017 und 2018). Ein weiteres Beispiel für technischen Fortschritt ist die Erweiterung der Handlungsoptionen der Kampfmittelräumung in Häfen. Neue Sensoren, ferngesteuerte Manipulatoren und Anpassungen der Tauchtechnik tragen hier zu einem hohen Standard der Arbeitssicherheit bei (Bodes, KRD FHH 2019).

Munitionsfunde im Kontext des Tourismus behalten an Nord- und Ostsee ihre Aktualität. Auf der Nordseeinsel Wangerooge werden durch vorsorgliches Absuchen von Strandabschnitten Strandbesuchende geschützt und, wie Touristen an anderen Orten, gezielt informiert. In den Jahren 2015-2019 wurden dort rund 850 Munitionsfunde im Uferbereich registriert, die im Rahmen der Gefahrenabwehr bearbeitet wurden. In demselben Zeitraum sind Munitionsfunde jeweils mehrmals im Jahr auch im Watt der Nordsee dokumentiert worden. Ebenso treten nach Medienberichten insbesondere an der Ostseeküste punktuell und in gewisser Beständigkeit Vorkommnisse mit weißem Phosphor auf (z.B. Insel Usedom), wobei dem Expertenkreis Munition im Meer keine verlässlichen Zahlen vorliegen. Ob zukünftig vermehrt Strandfunde von weißem Phosphor auftreten (z.B. durch fortschreitende Korrosion der in der Ostsee liegenden Brandbomben), kann aktuell nicht abgeschätzt werden.

Wie bereits in Kapitel 3.2 erwähnt zeigen erste Befunde, dass sich STV in Meeresorganismen anreichern. Inwiefern der Mensch durch Verzehr belasteter Meeresorganismen Gefahren ausgesetzt ist oder sein wird, kann derzeit nicht abschließend bewertet werden (Maser & Strehse 2020) und wird daher weiter untersucht (u.a. UBA 2019).

Zusammenfassend erhöhen großräumige Meeresnutzungen mit Grundberührung das Risiko für Menschen. In geringerem Maße zeigen sich Risiken beim Sammeln von vermeintlichem Bernstein (weißer Phosphor) oder schwer erkennbaren Explosivstoffen (Schießwolle, Treibladungen) und beim Sporttauchen (Rudolph 2015).

Forschung und Entwicklung

Wissenschaftliche Projekte der vergangenen 10 Jahre haben deutliche Fortschritte in zahlreichen Themenfeldern mit Bezug zu Munition im Meer hervorgebracht. Notwendige Methoden wurden entwickelt und validiert, Grundsatzfragen beantwortet und das Wissen um die Wirkungen der Belastungen an ausgewählten Orten erforscht. Moderne Messinstrumente unterstützen heute die Detektion und Klassifikation von Kampfmitteln. Die zusammenfassende Auswertung von Sondierungsergebnissen mittels computergestützter Verfahren (Big data/neuronale Netze/künstliche Intelligenz) ist aktueller Forschungsgegenstand. Die gezielte Weiterentwicklung serienreifer Gerätschaften für die automatisierte Kampfmittelbeseitigung setzt die Nachfrage solcher Technologien durch den Markt voraus.

Im Rahmen der Ziffer 5 des Beschlusses zu TOP 27 der 93. UMK werden die durchgeführten Forschungstätigkeiten und Technologieentwicklungen umfänglich betrachtet und daher hier nicht weiter erörtert.

Helmtaucher an einer deutschen Ankertaumine
Helmtaucher an einer deutschen Ankertaumine

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