Inklusion, Barrierefreiheit und Gleichstellung sind Themen, die uns alle angehen. Denn wir alle gestalten jeden Tag unsere eigene Zukunft, aber auch die der Gemeinschaft, in der wir leben. Dabei werden Barrieren und Hürden im Alltag von allen Menschen ganz unterschiedlich wahrgenommen. Wichtig ist aber, die eigenen Sinne dafür zu schärfen, dass es diese Barrieren und Hürden gibt und wir Möglichkeiten haben, sie aus dem Weg zu räumen.
In Schleswig-Holstein leben circa 573.000 Menschen mit einer Behinderung – das entspricht fast 20 Prozent der Bevölkerung. Davon haben rund 346.000 eine anerkannte Schwerbehinderung. Um dieser großen Zahl an betroffenen Bürgerinnen und Bürgern eine möglichst gleichberechtigte Teilnahme an der Gesellschaft zu ermöglichen, hat Schleswig-Holstein zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) den Fokus-LAP 2022 entwickelt.
Er enthält insgesamt 53 konkrete Maßnahmen, die durch die einzelnen Ministerien und die Staatskanzlei erarbeitet wurden. Sie alle sollen einen Teil dazu beitragen, von inklusiven Lebensverhältnissen für Menschen mit Behinderungen herzustellen. Durch die Umsetzung, die Weiterentwicklung sowie die Ergänzung der 53 Maßnahmen soll das Leben aller Menschen im Land verbessert werden.
Die Umsetzung von gleichberechtigter Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist kein starrer festgelegter Plan, sondern ein komplexer dynamischer Prozess. Durch Veränderungen wie Digitalisierungsprozesse oder die Entstehung neuer Krankheiten befindet sich die Gesellschaft dauerhaft im Wandel. Daher ist es notwendig, bestehende Strukturen immer wieder zu überdenken. Das Erreichen inklusiver Lebensverhältnisse ist kein Sprint, sondern benötigt Zeit, Gründlichkeit, Verlässlichkeit und Weitsicht. Aus diesen Gründen werden der Fokus-LAP 2022 und die darin enthaltenen Maßnahmen ständig evaluiert, überarbeitet und ergänzt.
Einer für alle
Der Fokus-LAP 2022 wurde seit 2020 in enger Zusammenarbeit mit der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen, Michaela Pries, sowie ihrem Vorgänger Professor Ulrich Hase erarbeitet. Vorausgegangen war ein umfassender Beteiligungsprozess, in dem Menschen mit und ohne Behinderungen sowie Vereine, Verbände und Institutionen ihre Vorschläge eingebracht haben. Die darin enthaltenen Ziele und Maßnahmen der Ministerien und der Staatskanzlei zeigen, weshalb es wichtig ist, Teilhabe für alle von Anfang an aktiv zu gestalten.
Eine Gesellschaft, in der alle Menschen die gleichen Möglichkeiten zur Teilhabe haben, kann nur entstehen, wenn sich alle gemeinsam dafür engagieren. Deshalb trägt der Fokus-Landesaktionsplan 2022 das Motto: Einer für alle.
Video: Der Fokus-LAP 2022
Der Fokus-Landesaktionsplan 2022
Rückenwind für die Inklusion im Land Mehr als eine halbe Million Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner leben mit einer Behinderung, also jeder fünfte Mensch bei uns im Land. Jede und jeder von ihnen ist ein Teil unserer Gesellschaft. Immer noch scheitert die volle Teilhabe und Barrierefreiheit aber an Stufen, Treppen, engen Wegen, schlechter Akustik oder komplizierten Texten. Wir haben die Menschen mit Behinderungen gefragt, wo sie konkreten Handlungsbedarf sehen und was zu tun ist. In enger Zusammenarbeit mit der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung, Michaela Pries, sowie ihrem Vorgänger Professor Ulrich Hase und den Ministerien ist so der Fokus-Landesaktionsplan 2022 entstanden.
Um die vereinbarten Ziele zu erreichen, hat die Landesregierung gemeinsam mit sozialen Organisationen sowie Bürgerinnen und Bürgern mit und ohne Behinderungen aus Schleswig-Holstein 53 Maßnahmen entwickelt. Jedes Ministerium und die Staatskanzlei der Landesregierung hat eigene Ziele und dazu passende Projekte, welche im Fokus-LAP 2022 elf Handlungsfeldern zugeordnet sind. Diese Handlungsfelder bilden verschiedene Lebenswelten der Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein ab. Manche Ziele und Maßnahmen wirken auch in verschiedenen Handlungsfeldern. Nachfolgend stellen wir die Handlungsfelder im Detail vor.
Handlungsfeld 0 – Übergreifende Maßnahmen
In unserem gesellschaftlichen Alltag tauchen Barrieren in unterschiedlichsten Formen an den verschiedensten Orten auf, es bedarf daher Maßnahmen, die mehrere Bereiche abdecken, um diese Barrieren nachhaltig zu beseitigen.
Um den inhaltlich übergreifenden Charakter widerzuspiegeln, wurde in Ergänzung zum ersten Landesaktionsplan aus dem Jahr 2017 das Handlungsfeld 0 (Null) geschaffen, in welchem die übergreifenden Maßnahmen und Leuchtturmprojekte der Landesregierung abgebildet werden.
Ziel der hier aufgeführten Maßnahmen ist es, einen ganzheitlichen Ansatz zum Abbau von übergreifenden Barrieren in der Landesregierung abzubilden.
Handlungsfeld 1 – Bewusstseinsbildung
Die Grundlage einer inklusiven Gesellschaft sind die Aufgeschlossenheit der breiten Öffentlichkeit gegenüber Menschen mit Behinderungen sowie ein respektvolles Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen.
Eine inklusive Gesellschaft kann nur gelingen, wenn alle sich an diesem Prozess beteiligen. Deswegen soll die Förderung einer respektvollen Einstellung auf allen Ebenen des Bildungssystems verankert sein und bereits in der frühen Kindheit beginnen.
Insbesondere gehört zur Bewusstseinsbildung aber auch, dass vor allem die Menschen mit Behinderungen selbst in der Lage sein sollen, ein Bewusstsein für ihre eigenen Fähigkeiten und Talente auszubilden.
Handlungsfeld 2 – Bildung
Gemeinsames Lernen von Menschen mit und ohne Behinderungen soll im Kindergarten beginnen und sich lebenslang fortsetzen: Kinder mit und ohne Behinderungen sollen ganz selbstverständlich miteinander aufwachsen und gemeinsam in die Kindertagesstätte und zur Schule gehen.
Grundlage für das Handlungsfeld Bildung ist Artikel 24 UN-BRK. Hier wird das Recht auf Bildung ohne Diskriminierung festgehalten. Kinder mit Behinderungen sollen somit am allgemeinen Bildungssystem teilhaben, wobei die Bedürfnisse der oder des Einzelnen berücksichtigt werden müssen.
Um die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung zu gewährleisten, erhalten Kinder und Jugendliche individuell die passende Unterstützung. Zudem werden Kinder mit Behinderungen bei Bedarf darin unterstützt, Fertigkeiten zu erlangen, die ihnen den Schulbesuch erleichtern.
Handlungsfeld 3 – Arbeit und Beschäftigung
Die Teilhabe am Arbeitsleben hat neben der wirtschaftlichen auch eine soziale Bedeutung. In einem Umfeld, das den einzelnen Menschen und dessen Fähigkeiten wertschätzt, ist Arbeit eine wichtige Quelle für Selbstbestätigung und Anerkennung. Zusätzlich wird ein selbstbestimmtes Leben durch die Erzielung von eigenem Einkommen ermöglicht.
Zudem haben alle Menschen das Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen, Chancengleichheit, gleiche Entlohnung für gleichwertige Arbeit und die gleichberechtigte Ausübung ihrer Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte.
Zu den Maßnahmen zählen zudem die Förderung von beruflicher Beratung, Stellenvermittlung, Selbstständigkeit, berufliche Rehabilitation sowie das Sammeln von Arbeitserfahrungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Handlungsfeld 4 – Unabhängige Lebensführung, Bauen und Wohnen
Die UN-BRK spricht allen Menschen das gleiche Recht zu, in der Gemeinschaft zu leben. Das bedeutet zunächst, dass Menschen mit Behinderungen entscheiden dürfen, wo und mit wem sie leben wollen – sie sind nicht verpflichtet, in besonderen Wohnformen zu leben.
Um ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu gewährleisten, haben Menschen mit Behinderungen das Recht auf gemeindenahe Unterstützungen. Dazu zählt auch eine persönliche Assistenz, welche die gesellschaftliche Teilhabe unterstützt.
Um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verbessern zu können, sollen Einrichtungen und Dienstleistungen für die Allgemeinheit auch Menschen mit Behinderungen offenstehen und ihre Bedürfnisse berücksichtigen.
Alle Menschen haben also das Recht zu heiraten, eine Familie zu gründen sowie frei und verantwortungsbewusst über die Zahl ihrer Kinder zu entscheiden. Menschen mit Behinderungen werden in angemessener Weise bei der Wahrnehmung ihrer elterlichen Verantwortung unterstützt.
Handlungsfeld 5 – Kultur, Sport und Freizeit
Sport und Freizeit ermöglichen Menschen mit und ohne Behinderungen zusammenzukommen und einen ungezwungenen Umgang miteinander zu finden und zu pflegen.
Demnach ist der Zugang zu kulturellem Material, zu Fernsehprogrammen, Filmen, Theatervorstellungen und anderen kulturellen Aktivitäten zu gewährleisten. Dazu müssen neben den Veranstaltungsorten wie Theatern, Museen, Kinos, Bibliotheken auch die Angebote selbst barrierefrei zugänglich sein.
Zudem sollen Menschen mit Behinderungen darin unterstützt werden, ihr kreatives, künstlerisches und intellektuelles Potenzial zu entfalten – nicht nur für sich selbst, sondern auch zur Bereicherung der Gesellschaft. Für Kinder mit und ohne Behinderungen soll es gemeinsame Spiel-, Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten geben.
Handlungsfeld 6 – Gesundheit und Pflege
Die gesundheitliche und pflegerische Begleitung von Menschen mit Behinderungen soll weiter verbessert werden. Der Zugang zu geschlechterspezifischen Gesundheitsdiensten einschließlich gesundheitlicher Rehabilitation ist demnach für alle Menschen zu gewährleisten.
Menschen mit Behinderungen haben also das gleiche Recht auf eine möglichst gemeindenahe Gesundheitsversorgung in der gleichen Bandbreite, der gleichen Qualität und dem gleichen Standard.
Darüber hinaus erhalten Menschen mit Behinderungen jene Gesundheitsleistungen, die sie wegen ihrer Behinderung benötigen.
Damit eine solche Gleichbehandlung tatsächlich erfolgt, sind laut UN-BRK Schulungen der beteiligten Berufsgruppen notwendig. Somit soll beim medizinischen Personal das Bewusstsein für die Menschenrechte, die Würde, die Autonomie und die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen geschärft werden.
Handlungsfeld 7 – Schutz der Persönlichkeitsrechte
Die Garantie gleicher und uneingeschränkter Menschenrechte ist das zentrale Ziel der UN-BRK. Im Handlungsfeld Schutz der Persönlichkeitsrechte werden die Artikel 5, 6, 7, 10 bis 18 und 22 der UN-BRK zusammengefasst. Diese Artikel betreffen die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen sowie die Anerkennung und den Schutz ihrer Rechte.
Zum Beispiel:
Jeder Mensch hat das angeborene Recht auf Leben. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben einen Anspruch auf gleiche Rechte ohne Diskriminierung. Zudem haben Menschen mit Behinderungen das gleiche Recht wie Menschen ohne Behinderungen, Eigentum zu besitzen.
Außerdem erhalten Menschen mit Behinderungen und ihre Familien Informationen, Hilfe und Unterstützung zur Prävention hinsichtlich Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch. Opfer von Ausbeutung, Gewalt oder Missbrauch haben das Recht auf körperliche, kognitive und psychische Genesung, Rehabilitation und soziale Wiedereingliederung.
Handlungsfeld 8 – Partizipation und Interessenvertretung
In einer inklusiven Gesellschaft können alle Menschen gleichberechtigt und ohne Diskriminierung an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten mitwirken.
Artikel 4 Absatz 3 UN-BRK verpflichtet dazu, bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und politischen Konzepten, welche die Belange von Menschen mit Behinderungen betreffen, Menschen mit Behinderungen aktiv einzubeziehen.
Dazu gehört das Recht und die Möglichkeit zu wählen und gewählt zu werden. Entsprechend müssen Wahlverfahren, Wahleinrichtungen und -materialien zugänglich und leicht zu verstehen und zu handhaben sein.
Zudem soll ein Umfeld gefördert werden, in dem Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten mitwirken können. Dazu soll die Mitarbeit von Menschen mit Behinderungen in nichtstaatlichen Organisationen, Vereinigungen sowie politischen Parteien unterstützt werden. Gefördert wird zudem die Bildung von Organisationen von Menschen mit Behinderungen, die sie auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene vertreten.
Handlungsfeld 9 – Mobilität und Barrierefreiheit
Menschen mit Behinderungen sollen ihr Leben so selbstbestimmt wie möglich gestalten und an allen Lebensbereichen teilhaben. Insbesondere Mobilität bedeutet Unabhängigkeit.
Laut Artikel 9 UN-BRK sollen Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt Zugang zu Gebäuden, Straßen und Transportmitteln haben. Auch Einrichtungen und Dienste für die Öffentlichkeit wie Schulen, Wohnhäuser, medizinische Einrichtungen und Arbeitsstätten müssen für Menschen mit Behinderungen zugänglich sein. Dazu gehört auch, dass bestehende Zugangshindernisse beseitigt werden.
In Artikel 20 (Persönliche Mobilität) werden Maßnahmen zur Sicherstellung der persönlichen Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit im Sinne von Selbstbestimmung beschrieben. Dazu zählen: Die Sicherstellung der persönlichen Mobilität zu frei wählbaren Zeitpunkten und zu erschwinglichen Kosten; der Zugang zu hochwertigen Mobilitätshilfen, Geräten sowie menschlicher und tierischer Assistenz; Schulungen in Mobilitätsfertigkeiten für Menschen mit Behinderungen und für Fachkräfte, die mit Menschen mit Behinderungen arbeiten.
Handlungsfeld 10 – Barrierefreie Kommunikation und Information
Zeitung lesen, fernsehen, im Internet surfen, Beschriftungen verstehen – das ist für viele Menschen mit und ohne Behinderungen ganz selbstverständlich. Für Menschen mit bestimmten Behinderungen gibt es aber in unserer Gesellschaft große Hindernisse im Bereich der Kommunikation und Information.
Neben der Zugänglichkeit zur physischen Umwelt wird hier auch die Zugänglichkeit zu Information und Kommunikation beschrieben. Zu den Maßnahmen zählen zum Beispiel Beschriftungen in Brailleschrift und in leicht lesbarer und verständlicher Form, der Einsatz von Gebärdensprachdolmetscherinnen und Gebärdensprachdolmetschern sowie die Förderung von zugänglichen Informations- und Kommunikationstechnologien. Demnach haben Menschen mit Behinderungen das Recht auf freie Meinungsäußerung und Meinungsfreiheit sowie das Recht, sich Informationen und Gedankengut zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben.
Um diese Rechte zu gewährleisten, sollen die Verwendung von Gebärdensprache, Brailleschrift und anderen zugänglichen Kommunikationsformen anerkannt und gefördert werden, Informationen für die Allgemeinheit in zugänglichen Formen zur Verfügung gestellt werden sowie Massenmedien und private Rechtsträger dazu aufgefordert werden, ihre Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu gestalten.
Der Fokus-LAP 2022 wird ständig fortgeschrieben und durch neue Maßnahmen ergänzt. Die aktive Partizipation der Bürgerinnen und Bürger spielt dabei eine zentrale Rolle in der Entwicklung zu einer inklusiven Gesellschaft. Daher wird die Zivilgesellschaft aktiv aufgefordert, sich an der Weiterentwicklung des Landesaktionsplans zu beteiligen.
Zusätzlich hat sich die schleswig-holsteinische Landesregierung auf zehn Inklusionspunkte zur kontinuierlichen Umsetzung der UN-BRK verständigt, die sich aus dem Fokus-LAP 2022 und der Politik für Menschen mit Behinderungen ableiten. Die zehn Inklusionspunkte sind maßgebend und sollen zukünftig in der landespolitischen Arbeit stets mitgedacht werden.
Die 10 Inklusionspunkte heißen:
Barrierefreiheit
Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung
Empowerment
Partizipation
Eigeninitiative
Übergreifender Inklusionsansatz
Schutz von vulnerablen Personengruppen
Evaluation
Transparenz
Wissenstransfer und Nachhaltigkeit
Meilensteine des Landesaktionsplans
2009: Am 24. Februar ratifiziert Deutschland die UN-BRK. Einen Monat später, am 26. März 2009, tritt sie in Kraft.
2014: Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen wird in Artikel 7 der Landesverfassung verankert.
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