KIEL. Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack hat heute (04. Mai 2021) gemeinsam mit dem Abteilungsleiter des Verfassungsschutzes, Joachim Albrecht, und dem Abteilungsleiter der Polizei, Torsten Holleck, den Verfassungsschutzbericht für das Berichtsjahr 2020 vorgestellt.
"Auch die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden wurde im vergangenen Jahr natürlich ganz wesentlich durch die Corona-Pandemie beeinflusst
", betonte die Ministerin.
Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie hätten den Trend zur Digitalisierung auch bei denjenigen verstärkt, die gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung aufbegehren. "Die Beobachtung des Cyber- und Informationsraums erhält deshalb eine immer größere Bedeutung
", so Sütterlin-Waack.
Auch die Kritiker der Maßnahmen – bis hin zu so genannten Coronaleugnern – beschäftigten die Sicherheitsbehörden. Sie selbst habe vor fast genau einem Jahr öffentlich vor der Unterwanderung so genannter Grundrechte- oder Hygienedemonstrationen durch Rechtsextremisten gewarnt. In der vergangenen Woche habe das Bundesamt für Verfassungsschutz einen neuen Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" eingerichtet.
Die Ministerin stellte heraus: "Um jedes Missverständnis auszuräumen: Öffentlich geäußerte Kritik ist das Wesen unserer Demokratie - die Verächtlichmachung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit dem Ziel der Zersetzung dulden wir nicht!
"
In Schleswig-Holstein gebe es bislang keine Anhaltspunkte, dass die öffentlichen Proteste gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung von Rechtsextremisten oder Reichsbürgern gesteuert oder maßgeblich beeinflusst würden. "Gleichwohl werden wir das Protestgeschehen weiter sehr genau im Blick behalten, um frühzeitig zu erkennen, ob es über die reine Mobilisierung zu Protesten gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen hinausgeht und in eine demokratiefeindliche oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates mündet
", sagte Sütterlin-Waack.
Zu den einzelnen Phänomenbereichen:
Rechtsextremismus
Im Vergleich zu 2019 stieg das rechtsextremistische Personenpotenzial im Jahr 2020 um rund elf Prozent auf 1.180 Personen. Für diesen Anstieg gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen konnte die NPD-Schleswig-Holstein ihre Mitgliederzahl von 100 auf 120 erhöhen. Zum anderen jedoch, und das dürfte der Hauptgrund sein, ist die im Berichtsjahr erfolgte Einstufung des ehemaligen so genannten Flügels innerhalb der AfD zu einem landeseigenen Beobachtungsobjekt. Diesem wird in Schleswig-Holstein derzeit ein Potenzial von 130 Personen zugerechnet. Die Vernetzung der rechtsextremistischen Szene im Internet hat sich nicht zuletzt aufgrund der Pandemie weiter verstärkt. Die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten sank von 360 im Jahr 2019 leicht um rund 20 Personen auf nunmehr 340.
Reichsbürger und Selbstverwalter
Das Personenpotenzial der Reichsbürger und Selbstverwalter lag im Jahr 2020 in Schleswig-Holstein bei rund 380 Personen. Der Grund für diesen Anstieg um etwa 14 Prozent im Vergleich zum Vorjahr liegt unter anderem in der weiter hohen Sensibilität der kommunalen und staatlichen Verwaltungen im Umgang mit der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene. Neun der Personen sind auch aus rechtsextremistischen Bestrebungen bekannt. Von den rund 380 Reichsbürgern und Selbstverwaltern haben 17 waffenrechtliche Erlaubnisse. Darauf sind insgesamt 58 Waffen eingetragen.
Islamismus und islamistischer Terrorismus
Den größten Anstieg gab es in Schleswig-Holstein im Bereich des islamistischen Personenpotenzials. Es betrug mit Ablauf des Berichtsjahres 2020 rund 845 Personen. Das bedeutet einen Anstieg um 18 Prozent. Allein 750 Personen und damit 100 mehr als im Vorjahr sind dem Bereich des Salafismus zuzurechnen. Im salafistischen Bereich konnte neben einer pandemiebedingten finanziellen und logistischen Unterstützung einiger Vereine untereinander auch eine Kooperation auf ideologisch-inhaltlicher Ebene festgestellt werden.
"Die Sicherheitslage ist europaweit und auch in Deutschland und Schleswig-Holstein weiterhin von dem abstrakt hohen Risiko bestimmt, dass sich jederzeit ein islamistisch motivierter Anschlag ereignen kann. Einige salafistische Vereine und andere islamistische Gruppierungen führten während der Pandemie ihre missionarische Arbeit online weiter fort, so dass die nachrichtendienstliche Bearbeitung des Internets und insbesondere der sozialen Netzwerke im Bereich Islamismus einer der wichtigsten Aufgabenschwerpunkte des Verfassungsschutzes bleibt
", sagte der Abteilungsleiter Verfassungsschutz, Joachim Albrecht.
Linksextremismus
Das linksextremistische Personenpotenzial lag im Jahr 2020 in Schleswig-Holstein mit 730 (2019: 700) leicht über dem Vorjahresniveau. Auch die gewaltorientierte Szene stieg um 5 auf nun 340 Linksextremisten an. Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie schränkte die Szene ihre öffentlichen Aktivitäten stark ein und verlegte diese überwiegend in den virtuellen, weitgehend geschützten Raum. Als weiteren Schwerpunkt linksextremistischer Betätigung neben der Bekämpfung der AfD entwickelte sich im Berichtsjahr das Themenfeld Anti-Gentrifizierung. Ziele der Proteste sind vorwiegend Immobilienunternehmen, denen Linksextremisten Ausbeutung, Wohnungsverknappung und damit überhöhte Mieten vorwerfen. Im Jahresverlauf verübte die Szene zahlreiche Sachbeschädigungen zum Nachteil von Immobiliengesellschaften.
Extremismus mit Auslandsbezug
Die wichtigsten extremistischen Gruppierungen im Bereich des nicht religiös motivierten Extremismus mit Auslandsbezug bleiben die linksextremistische pro-kurdische Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihr politischer Gegner, die türkisch-rechtsextremistische Ülkücü-Bewegung.
Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz
In der Spionageabwehr galt besonderes Augenmerk der Sensibilisierung von Firmen und Forschungseinrichtungen für mögliche Gefahren der Ausspähung durch fremde Staaten. Insbesondere betraf dies Einrichtungen, die an der Entwicklung von Tests, Medikamenten und Impfstoffen gegen das Corona-Virus beteiligt sind.
Politisch Motivierte Kriminalität
Polizeiabteilungsleiter Torsten Holleck stellte die Entwicklung der Politisch Motivierten Kriminalität dar. "Sofern sich Straftaten gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten oder wir Anhaltspunkte dafür identifizieren, dass durch die Begehung von Straftaten auf den demokratischen Willensbildungsprozess eingewirkt oder politische Ziele erreicht werden sollen, wird die Straftat als politisch motiviert erfasst
", so Holleck.
Insgesamt gebe es einen Rückgang um 231 Taten (-18,28 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr. Regionale Schwerpunkte seien in den Städten Kiel, Lübeck sowie Flensburg und in den Kreisen Pinneberg, Stormarn und Rendsburg-Eckernförde festzustellen.
Im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie wurden von April bis Dezember 2020 insgesamt 133 Versammlungslagen in Schleswig-Holstein bekannt, die im Kontext mit den Auflagen der Regierung standen. Hinweise auf eine landes- oder bundesweit funktionierende Organisation liegen dem polizeilichen Staatsschutz nicht vor.
Die PMK -rechts- ging um 46 Taten auf 663 (-6,49 Prozent) zurück. Bei der PMK -links- war ein Rückgang um 153 Taten auf 230 (-39,95 Prozent) zu verzeichnen. Begründet wird dieser deutliche Rückgang damit, dass im Jahr 2019 ein Europawahlkampf stattfand.
Von den insgesamt 1033 PMK-Straftaten waren 77 Gewaltdelikte. Dies ist ein Anstieg um elf Taten. Die Aufklärungsquote liegt bei den Gewaltdelikten insgesamt bei 68,83 Prozent. Der größte Anstieg von zehn Taten im Vorjahr auf nunmehr 22 Gewaltdelikte entfiel auf den Bereich PMK-links. Mit insgesamt 45 (Vorjahr 40) entfielen die meisten Gewaltdelikte auf den Bereich der PMK-rechts. Holleck: "Die Gewaltbereitschaft in der rechtsextremistischen Szene bleibt somit in Schleswig-Holstein auf einem gleichbleibenden hohen Niveau bestehen und ist hauptsächlich fremdenfeindlich motiviert.
"
Deutlich zugenommen haben Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger. Nach 39 im Vorjahr gab es 57 in 2020 (+46,15 Prozent). Die Aufklärungsquote beträgt dabei 61,4 Prozent. Dabei wurde mit 31 mehr als die Hälfte aller Taten über das Internet begangen (Direktnachricht, E-Mail, Hassposting etc.).
Bei antisemitischen Straftaten war ein Rückgang um 19 Taten auf 45 (-29,69 Prozent) zu verzeichnen. Die Aufklärungsquote ist dabei von 50 auf 62,22 Prozent gestiegen. Deliktischer Schwerpunkt ist die Volksverhetzung mit 32 Taten.
Die PMK -religiöse Ideologie- ging um 15 Taten auf 9 zurück (-62,5 Prozent). Alle Taten sind dem Themenfeld "Islamismus" zuzuordnen, davon sind drei Taten mit Terrorismusbezug. "Es geht hierbei um Verfahren wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, der Terrorismusfinanzierung und der Bildung/Unterstützung einer Terroristischen Vereinigung im Ausland
", so der Abteilungsleiter. Holleck wies darauf hin, dass die Verringerung der Fallzahlen auf statistische Effekte zurückgehe. Die Anzahl der geführten Strafverfahren sei im Phänomenbereich eher gestiegen.
Bei der PMK -ausländische Ideologie- gab es eine Zunahme um zwei Taten auf 16. Schwerpunkt bleibe das Spannungsfeld zwischen türkischer und kurdischer Diaspora in Schleswig-Holstein.
Den Verfassungsschutzbericht 2020 finden Sie unter folgendem Link:
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