Zur Geschichte des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in den letzten 50 Jahren gehört auch die Geschichte des Mahnmals vor dem Gebäude und der dazugehörigen Ausstellung über die Rolle der Justiz im Nationalsozialismus. Die letzte Tafel dieser Ausstellung befasst sich mit der von dem damaligen CDU-Innenminister Pagel sogenannten Renazifizierung der Justiz nach 1945. Und der Richter am Landgericht Itzehoe Dr. Godau-Schüttke hat in seinem 1993 veröffentlichten Buch „Ich habe nur dem Recht gedient“ (Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1993) sehr genau und aus Personal- und Generalakten der Justizbehörden wie auch aus Ermittlungsakten der Nachkriegszeit gegen Richter und Staatsanwälte und aus Akten des Sondergerichts Kiel im einzelnen belegt dargestellt, welche Justizpersonalpolitik nach 1945 damit gemeint war und welche Parteien und Personen diese Politik hauptsächlich getragen haben.
Wie sich dies beim Richterpersonal des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts insgesamt abgebildet hat und - das ist die eigentliche Frage - ob und gegebenenfalls welchen Einfluss diese Personalpolitik auf die Rechtsprechung des Gerichts gehabt hat, ist bislang kaum erforscht worden. Einzelne Personalgeschichten, angefangen mit der des Präsidenten der Jahre 1952 bis 1968 über die einer Reihe von Oberlandesgerichtsräten, wie ihre Dienstbezeichnung damals war, sind in dem genannten Buch nachzulesen.
Das es 1989, mehr als 40 Jahre nach dem Ende der Herrschaft des Nationalsozialismus, Zeit war, die Erinnerung an die Rolle von Richtern und Staatsanwälten im
NS-Unrechtsstaat wachzurufen, endlich zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist, also zu trauern, fand entgegen pessimistischen Prognosen im Grundsatz überwiegend Zustimmung im Hause. Auf diesem Hintergrund konnte sich die Geschichte der Gedenkstätte (Mahnmal und Ausstellung) so entwickeln, wie ich sie im Vorwort der zugehörigen Broschüre erzählt habe:
Wie in immer zahlreicheren Dokumentationen, Abhandlungen und Büchern belegt und veröffentlicht, haben Richter und Staatsanwälte in ihrer Mehrheit 1933 die Machtübergabe an die Nationalsozialisten begrüßt und "ihrem Führer auf seinem Wege ewige Gefolgschaft geschworen". Sie haben zur Gleichschaltung der Justiz mit der Ideologie des Nationalsozialismus ("Volksgemeinschaft", "völkische Ungleichheit", "Führerprinzip") beigetragen und mitgeholfen, den Rechtsstaat der Weimarer Republik zu einer bloßen Fassade von Recht und Gerechtigkeit auszuhöhlen. Sie haben durch die parteiliche Anwendung vorhandener Gesetze und den gehorsamen Vollzug neuer nationalsozialistischer, vor allem rassistischer Gesetze schon im Frieden unendliches Leid über viele Mitbürger gebracht. Betroffen waren vor allem Juden, aber auch Angehörige anderer verfolgter Minderheiten, zum Beispiel Sinti und Roma sowie als krank oder "minderwertig" Eingestufte.
Alles dies blieb bis Ende der 60er Jahre ein Tabu, wurde in Kollegenkreisen nicht diskutiert. Allenfalls Andeutungen waren erlaubt, wenn einmal wieder ein öffentlicher Skandal die Beteiligung eines höher- oder hochrangigen Kollegen an der Justiz im Nationalsozialismus unübersehbar und unüberhörbar machte. Noch Ende der 70er Jahre konnte es passieren, dass ein Oberlandesgerichtspräsident einen Kollegen für das Amt eines Senatsvorsitzenden, also für eine erhebliche Beförderung vorschlug, von dem sich herausstellte, daß er als junger Richter am Landgericht an "Rassenschande"-Urteilen mitgewirkt hatte. Was damals Recht war, konnte doch jetzt nicht Unrecht sein? "Man kann den Wechsel rechtlicher Grundanschauungen ... nicht zum Anlass nehmen, die Entscheidungen der Vergangenheit am Maßstab der Gegenwart zu messen"
, schrieb 1960 auch der schleswig-holsteinische Justizminister Dr. Leverenz.
Erst mit dem allmählichen Ausscheiden der Kollegenschaft, die vor 1945 dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat gedient hatte, lösten sich langsam unsere Zungen, wagten wir, das Unrecht beim Namen zu nennen, nachzufragen, hinzusehen, nachzuforschen. Und wir stießen auf ein paar Dutzend Mutige aus Wissenschaft und Praxis, die schon früher angefangen hatten, die Mauer des Verschweigens zu durchbohren, die forschten und aufschrieben, an Ausstellungen mitarbeiteten und als Referenten auf Tagungen das Erforschte kundtaten. Sie rüttelten damit andere auf und stießen sie an, das Unerhörte laut weiterzusagen und endlich das zu tun, was fast zu lange unterblieben war: zu trauern, nicht die vielberufene Vergangenheitsbewältigung zu leisten - diese Vergangenheit ist nicht zu bewältigen -, sondern endlich zu wissen, was war, und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist.
1989 schlug der Generalstaatsanwalt in Schleswig vor, eine Gedenktafel für die Opfer der Justiz im Nationalsozialismus am Gerichtshaus Gottorfstraße 2 anzubringen. Der Präsident des Oberlandesgerichts reichte den Vorschlag mit freundlicher Befürwortung und der Bitte um Einwerbung entsprechender Haushaltsmittel an den Justizminister weiter, und dieser dotierte das Vorhaben mit 50.000 Mark.
Als ich 1990 als Vizepräsident vom Landesbauamt gefragt wurde, wie groß die Gedenktafel gedacht sei, aus welchem Material sie gefertigt, an welchem Ort sie aufgestellt werden sollte und welcher Text vorgesehen sei, da meinte ich, dass man für die Suche nach der Antwort auf so viele Fragen unbedingt einen größeren Kreis von Kolleginnen und Kollegen gewinnen müsste. Denn damit könnte man die Geschichte der Justiz, unsere Geschichte, weitertragen, ein Stückchen gemeinsame kollektive Erinnerung schaffen und dadurch an dem Deich bauen, den wir brauchen zum Schutz vor erneuter Versuchung.
"Da werden Sie niemanden finden"
, war eine pessimistische Prognose auf meine Frage, wer denn aus dem Hause, dem Oberlandesgericht, Interesse haben könnte. Mit dem Fehlgehen dieser Prognose begann die Erfolgsgeschichte der "Mahnmalgruppe". Eine Kollegin und fünf Kollegen aus dem Oberlandesgericht meldeten sich zur Mitarbeit auf ein entsprechendes Rundschreiben des Richterrats, des örtlichen Mitbestimmungsgremiums der Richter. Vertreterinnen und Vertreter der Staatsanwaltschaft, der Berufsverbände und überörtlicher Mitbestimmungsorgane kamen hinzu. 15 ständige Mitglieder standen auf der Adressenliste für Einladungs- und Rundschreiben an die Gruppenmitglieder.
Ohne den Kollegen Dr. Klaus-Detlef Godau-Schüttke, inzwischen als Buchautor zum Thema bekannt, hätten wir uns gewiss schwer getan, schnellen Zugang zu finden zu den vorliegenden Erkenntnissen über die Justiz im Nationalsozialismus und zu formulieren, was denn Ausgangspunkt und Anlass für unsere Arbeit sein könnte.
Sie mussten dann alle geführt werden, die Diskussionen: über den Sinn eines Mahnmals angesichts eines relativ geringen Interesses und- Engagements an dem Thema in der Kollegenschaft und in der Öffentlichkeit; über den Ort, weil doch das Sondergericht als Teil der "Panzertruppe der Rechtspflege" Hitlers gar nicht in Schleswig, sondern zunächst in Altona und ab 1937 in Kiel seinen Sitz hatte; über die Ausführung, denn eine Gedenktafel im oder am Gebäude ist schon etwas anderes als eine große Skulptur, und über die Texte für die Ausschreibung, über unsere gemeinsam gewonnene Überzeugung und über die Aufgabe des Mahnmals.
"Judges are wordsmiths (not number crunchers)" - diese angelsächsische Kennzeichnung unseres Berufs erwies sich als zutreffend. Jedes Wort unserer Texte kann als geschmiedet gelten, so daß ich auch hier diese Texte als Zitate verwende, so wunderbar unmissverständlich erscheinen sie mir immer noch: Die Gedenkstätte (Mahnmal und Ausstellung) "soll uns mahnen", so haben wir damals über die Aufgabe unter anderem gesagt, "niemals wegzusehen, wenn Unrecht geschieht, sondern einzugreifen und solidarisch vor allem mit denen zu sein, die - wie seinerzeit die Juden und andere Gruppen - immer noch oder schon wieder als 'andere' ausgegrenzt werden. Sie soll uns, die Nachfolger und Nachfolgerinnen der Richter und Staatsanwälte von damals, mahnen, dass wir eine besondere Verantwortung dafür tragen, dass nie wieder im Namen des Rechts Unmenschlichkeit und Unrecht geschehen, dass wir als Repräsentanten der rechtsprechenden Gewalt zu den Garanten des freiheitlichen und sozialen Rechtsstaates, zu den Hütern der Menschenrechte gehören."
Welcher Künstler setzt das in ein Bild um? Ohne Dr. Reimer Witt, den Direktor des Landesarchivs Schleswig-Holstein, Bewahrer von unter anderem mehr als 7.000 Akten der Sondergerichte Altona und Kiel, Mitglied der Mahnmalgruppe von Anfang an, hätten wir länger nach einem Zugang zur "Künstlerszene" für die Ausschreibung gesucht. Von ihm kam der Vorschlag, Experten nach geeigneten Künstlern zu befragen. So gilt schon der nächste Dank Professor Dr. Heinz Spielmann, Direktor des Landesmuseums, und Ministerialdirigent Peter Hense, Leiter der Bauabteilung im Finanzministerium und Vorsitzender des Kunstvergabeausschusses.
Sie haben uns mit sachkundiger und sicherer Hand zu vier Bildhauern geführt, die sich einem Wettbewerb stellen wollten: Uwe Appold aus Flensburg, Professor Ian Koblasa aus Kiel/Hamburg, Professor Waldemar Otto aus Bremen/Worpswede und Manfred Sihle-Wissel aus Brammer bei Rendsburg. Von den Besuchen bei diesen Künstlern und den Gesprächen mit ihnen zu erzählen, ist eine eigene Geschichte wert. Schließlich haben sie alle vier die Ausschreibung unterzeichnet, und das lag sicher zum Teil daran, dass der Direktor des Landesmuseums den Ankauf der drei nicht erfolgreichen Entwürfe für je 3.000 Mark zugesagt hatte.
Zwei Vorgänge beschäftigten uns vor dem Eingang der Entwürfe noch erheblich: Diskussion und Abfassung eines Spendenaufrufs an alle Kolleginnen und Kollegen in sämtlichen Gerichtszweigen und Staatsanwaltschaften, ungefähr 800 Adressatinnen und Adressaten, und ein Ortstermin auf dem Grundstück des Oberlandesgerichts mit den vier Künstlern, um den Platz für die Skulptur zu bestimmen. Damals ahnten wir noch nicht, wie sehr wir das Geld aus dem Spendenaufkommen (ziemlich genau 15.000 Mark) noch für die Ausstellung brauchen würden und welches Aufsehen der Standort später erregen sollte. Jedenfalls verdient der Landeskonservator Dr. Johannes Habich einen Dank für seine wie selbstverständlich erklärte Bereitschaft, an der Antwort auf die Standortfrage wie auch beratend in der Jury mitzuwirken.
Dann standen die vier Entwürfe - zwischen 50 und 90 Zentimeter hoch - plötzlich und pünktlich in meinem Zimmer und anschließend drei Wochen im Plenarsaal zur Ansicht. Fotografien mit den Erläuterungstexten der Künstler und einer Materialmappe gingen an fast alle Gerichte in Schleswig-Holstein. Am 21. Dezember 1991 entschied sich die Jury für das konkrete Bildnis von Waldemar Otto.
Seit Anfang 1992 haben wir uns in etwas veränderter Besetzung mit der Vorbereitung und Zusammenstellung einer "Dokumentation zum Mahnmal", der Verwirklichung einer Idee aus der Anfangszeit der Arbeitsgruppe beschäftigt. Jetzt können wir sagen, dass wir uns damit auf ein Such-, Lese- und Auswahlabenteuer und am Ende wieder auf eine Textschmiede eingelassen haben, womit damals bei der ersten Sitzung im Januar 1992 so wohl niemand gerechnet hat. Das Ergebnis - fünf Stellwände nebst Titeltafel - ist in dieser Broschüre dokumentiert.
Der Weg dahin ist mit den sicher verschiedenen Wahrnehmungen der Gruppenmitglieder im Rahmen dieses Vorworts nicht einzufangen. Maßgebliche Hilfe haben wir unserem Redakteur Klaus Bästlein zu verdanken. Er hatte schon an der großen Ausstellung "Widerstand gegen den Nationalsozialismus" in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin mitgearbeitet und auch kleinere Prospekte wie die Dauerausstellung "Konzentrationslager Ladelund 1944" im Norden Schleswig-Holsteins mitbetreut. Außerdem leitete Klaus Bästlein bis Ende 1993 das Projekt zur Neueren Hamburger Justizgeschichte bei der Justizbehörde Hamburg. Ausstellungserfahrung und -probleme hat uns am Anfang auch Dr. Helmut Kramer aus Braunschweig vermittelt. Er ist im Niedersächsischen Justizministerium mit dem Thema "Justiz und Nationalsozialismus" befasst und hat an der Gedenkstätte in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel mitgearbeitet.
Es hat eine ganze Zeit gebraucht, bis wir uns einig waren, inhaltliche und formale Qualität anzustreben statt einer Sammlung von Mappen mit dem mehr oder weniger geordneten Material aus unserer bisherigen Arbeit zum Nachlesen für Interessierte in einem Winkel der Bibliothek. Die Entwürfe für die einzelnen Stelltafeln sind von einzelnen Gruppenmitgliedern oder von mehreren in Gemeinschaftsarbeit hergestellt worden.
Die Antwort auf die Frage, wieweit diese Entwürfe in den jetzt von allen beschlossenen Tafeln noch wiedererkennbar wären, könnte viel über den Produktionsprozess und seine Turbulenzen aussagen, ist aber dem Außenstehenden schwer vermittelbar. An dieser Stelle nicht darstellbar ist gewiss auch der Lernprozess, den wir einzelne Gruppenmitglieder im Laufe der Redaktionsarbeit durchlaufen haben. Ich denke, dass dabei von besonderer Bedeutung die Auseinandersetzung mit dem konkreten Aktenmaterial war, mit der Hinterlassenschaft von Berufskollegen, die vor gut 50 Jahren am Schleswig-Holsteinischen Sondergericht tätig waren.
Die Lektüre dieser Akten, ihre kritische Sichtung und die Auswahl ausstellungsgeeigneter Fälle machten einen wesentlichen Teil unserer Arbeit aus. Oft gerieten die Sitzungen zur Geschichtsstunde, endeten manchmal aber auch mit einem "Wir wissen es nicht", "das ist noch nicht erforscht".
Regelrecht inhaltliche Kontroversen hat es nur um die sechste Stelltafel zur "Renazifizierung" gegeben. Da gab es sowohl den Antrag, diese Tafel ganz wegzulassen, als auch erregte Diskussionen über einzelne Textteile auf dieser Tafel. Wir hoffen, dass wir mit der beschlossenen Fassung weder den "Eindruck von Polemik" hinterlassen noch in "selbstgerechtes Moralisieren" verfallen sind, wie von einzelnen befürchtet wurde. Für verzichtbar hielten wir das Thema der "zweiten Schuld" nicht. Der Erinnerung auch an sie ist das Mahnmal ausdrücklich gewidmet.
Wenn mir ganz zu Beginn der Arbeit für das Mahnmal heftiger Widerstand prophezeit worden ist, so ist auch diese Vorhersage nicht eingetroffen. In zwei Formen sind mir Unbehagen und Ablehnung gegenüber der Veröffentlichung dieses Themas dennoch begegnet: Das eine Ereignis war die "Rhododendron-Diskussion", das andere die "Standortfrage".
Es hatte sich im Friedrichsberg, dem südlichen Teil Schleswigs, in dem unser Gerichtshaus steht, herumgesprochen, dass die übermannshohe Rhododendronhecke vor dem Eingang des Gerichtshauses, die diesen den Blicken von der Straße aus ganz entzog, dem Mahnmal weichen müsste, weil es auch beim Verlassen des Gebäudes sichtbar sein sollte. Schließlich machten es sich sämtliche Schleswiger Bürgervereine zum Anliegen, wegen dieses Vorhabens kritisch nachzufragen. Daraus ist eine gut besuchte Veranstaltung im Städtischen Museum im Oktober 1992 geworden, bei der Professor Dr. Spielmann und ich Gelegenheit bekamen, die Aufgabe dieses Mahnmals zu erklären und um Verständnis für die Entscheidung der Jury über den Standort und seine Ausgestaltung zu werben.
Tatsache ist, dass der Rhododendron munter austreibt, weil er nur auf die Höhe der seitlich angrenzenden Hecke heruntergeschnitten wurde und so gehalten werden soll. Die Figur ist so auch vom Eingang aus sichtbar, und der Eingang des Gebäudes wird von der Hecke nicht mehr verborgen. Ein Wort gegen das Mahnmal ist öffentlich im übrigen nicht gefallen.
Heftiger wurde in der Mahnmalgruppe eine Initiative von Kollegen und Kolleginnen aus dem Hause erlebt, den geplanten Standort der Skulptur auf der Mittelachse vor dem Eingang des Gebäudes in Frage zu stellen und möglichst zu ändern. Die Skulptur war im Herbst 1992 fertiggestellt und ein Termin für ihre Aufstellung und Übergabe an die Öffentlichkeit im Frühjahr 1993 vorgesehen. Bei gelegentlichen Gesprächen kurz nach der Jury-Entscheidung Ende 1991 hatte ich erste Bedenken gegen die Wirkung einer solchen Figur vor dem Gerichtshaus auf unser Publikum zu hören bekommen. Jeder, der seinen Prozess verloren hätte, würde sich in dem Gehängten als Justizopfer wiedererkennen.
Mein Einwand, dass wir in unseren Verhandlungen dann etwas falsch gemacht, Möglichkeiten und Grenzen unseres Verfahrens nicht ausreichend vermittelt hätten, fand wenig Zustimmung. Auf einer vom Richterrat einberufenen Versammlung Anfang Dezember 1992, an der etwa zwei Drittel der im Oberlandesgericht tätigen Richterinnen und Richter teilgenommen haben, stimmte etwa ein Viertel ganz gegen ein Mahnmal, jedenfalls in Schleswig, ein Viertel befürwortete das Mahnmal am gewählten Standort und etwa die Hälfte wünschte sich einen anderen Standort. Nicht vergessen habe ich das Argument, dieses Mahnmal, das notwendig sei, sei in seiner Deutlichkeit an solch einem zentralen Platz noch zu schwer erträglich, würde noch zu sehr schmerzen. Es gab dann noch einen Aufruf mit 46 Unterschriften, in dem einerseits die Idee der Gedenkstätte für die Opfer der Justiz im Nationalsozialismus bejaht, andererseits der Standort für schwer erträglich erklärt wurde, weil die Skulptur als neues Symbol für die Justiz missdeutet werden könnte.
Wir haben in der Mahnmalgruppe schwer um die richtige Reaktion gerungen - war doch die Wahl des Standortes im Herbst 1991 vor Herstellung der Entwürfe wie auch bei der Auswahl des Entwurfs von Waldemar Otto in der Jury-Sitzung nach allem Für und Wider getroffen worden. In einer erneuten hausöffentlichen Jury-Sitzung unter Beteiligung des Plenums mit anschließender Abstimmung in der Jury sahen wir eine Möglichkeit, unsere Standpunkte zu vermitteln oder in Frage zu stellen. So verständlich manche der "Änderungsargumente" waren, überzeugt haben sie die Jury-Mitglieder nicht. Und so hat die Skulptur den zentralen Platz, für den sie geschaffen wurde, erhalten - "mitten in unseren Herzen", wie ein Kollege es formulierte. Was es bei ihrer Übergabe an die Öffentlichkeit am 2. April 1993 vom Justizminister Dr. Klaus Klingner und von der streitbaren Lea Rosh zu hören gab, ist in dieser Broschüre im Anschluss an die Ausstellungstexte nachzulesen.
Ich freue mich einmal mehr im Leben darüber, wie gemeinsame Arbeit so vieler und so unterschiedlicher Kolleginnen und Kollegen gelingen kann, auch wenn die eine oder der andere heimlich oder laut gedacht hat, dass ganze hätte man auch in ein paar Monaten schaffen können.
Skandale oder weitere merkbare Reaktionen sind ausgeblieben. Manchmal liegt eine Blume auf der Inschriftentafel vor der Figur. Vielleicht gelingt es uns in seltenen Augenblicken, die Opfer jedenfalls in der Erinnerung wieder lebendig zu machen, und - wie Frau Rosh es in ihrer Rede am Ende sagte - sie auch zu umarmen, zu streicheln und zu wärmen, sie, die wir damals so allein und ohne Rettung gelassen haben. Und vielleicht können wir den Schwur halten: Nie wieder ...
Volker Lindemann