Das Landesverfassungsgericht hat heute entschieden, dass die besondere Vergütung der Funktion einer Parlamentarischen Geschäftsführerin oder eines Parlamentarischen Geschäftsführers je Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag die durch die Landesverfassung und das Grundgesetz garantierte grundsätzliche Gleichheit der Abgeordneten nicht unangemessen beeinträchtigt.
Das Urteil erging in einem Organstreitverfahren, das vier Abgeordnete der Piratenfraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag anhängig gemacht haben. Der Antrag richtete sich gegen die Zahlung einer zusätzlichen Entschädigung von 45 % auf die Grundentschädigung an die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Fraktionen im Landtag gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 5 des Abgeordnetengesetzes (AbgG). Die Antragstellerin und die Antragsteller sind der Auffassung, Parlamentarische Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer übten keine politisch besonders herausgehobene parlamentarische Funktion aus, weshalb die Gewährung einer Zulage an sie wegen Verstoßes gegen die Freiheit des Mandats und den Grundsatz der Gleichbehandlung der Abgeordneten verfassungswidrig sei. Dies folge auch aus dem sogenannten Zweiten Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2000, in dem es in einem Landesorganstreitverfahren um die Frage ging, ob Abgeordneten des Thüringer Landtages mit besonderen parlamentarischen Funktionen eine Zulage zur Grundentschädigung gezahlt werden darf.
Das Gericht stellt in seinem heutigen Urteil fest, dass besonders zu entschädigende Funktionsstellen für Abgeordnete des Landtages jedenfalls dann sowohl mit Art. 11 Abs. 1 und 3 sowie Art. 3 Abs. 1 der Landesverfassung (LV) als auch mit Art. 38 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) vereinbar sind, wenn sie auf eine geringe Zahl und besonders herausgehobene politisch-parlamentarische Funktionen begrenzt bleiben.
Dies ist nach den Feststellungen des Gerichts in Schleswig-Holstein derzeit der Fall:
Zum einen ist die Anzahl der Funktionsstellen, für die eine zusätzliche Entschädigung gewährt wird, begrenzt, im Verhältnis zur Gesamtzahl der Abgeordneten niedrig und kann durch einzelne Fraktionen nicht erweitert werden.
Zum anderen handelt es sich bei der Funktion einer Parlamentarischen Geschäftsführerin oder eines Parlamentarischen Geschäftsführers um eine besonders herausgehobene politisch-parlamentarische Funktion. Zu diesem Schluss kommt das Gericht nach Auswertung der Geschäftsordnungen der im Landtag vertretenen Fraktionen und auf der Grundlage der Stellungnahmen der Fraktionen im Verfahren.
Die Wahrnehmung der Aufgaben der Parlamentarischen Geschäftsführerin oder des Parlamentarischen Geschäftsführers im Schleswig-Holsteinischen Landtag führt zu einer solch raumgreifenden Beeinträchtigung der Mandatsausübung der jeweiligen Abgeordneten, dass eine Kompensation mittels einer zusätzlichen Vergütung keine ungerechtfertigte Beeinträchtigung des Grundsatzes gleicher Entschädigung darstellt. Als entscheidend sieht das Gericht dabei nicht allein den mit der Wahrnehmung der Funktionsstelle verbundenen Arbeitsumfang und Zeitaufwand an, sondern vor allem die Beschränkung der grundsätzlichen Freiheit der Mandatsausübung infolge der Übernahme der Funktion, die aus der Fülle der ohne die Verfolgung eigener politischer Ziele anfallenden, zwingend zu erbringenden Aufgaben resultiert. Die Parlamentarische Geschäftsführerin oder der Parlamentarische Geschäftsführer hat die oft unbequeme Aufgabe wahrzunehmen, im Rahmen der Fraktionsdisziplin Einzelinitiativen zu begrenzen oder zu kanalisieren, beziehungsweise bei fraktionsinternen Streitigkeiten zu politischen Linien Partei zu ergreifen. Nach den Feststellungen des Gerichts entstehen aus der Aufgabenwahrnehmung zudem erhöhte Präsenzpflichten im Parlament und eine hohe Zahl zusätzlicher innerparlamentarischer Termine, wie etwa die Anwesenheit in Sitzungen zur Sicherstellung hinreichender Präsenz der Fraktion, gegebenenfalls die Organisation von Vertretungen oder auch die Übernahme der Stimmführerschaft. Daneben folgen aus der administrativen Leitung der Fraktion vielfältige Pflichten in Bezug auf die Auswahl und Führung der Fraktionsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, einschließlich der Aufgaben der oder des Dienstvorgesetzten, und auch die Verwaltung der Fraktionsmittel.
Das Gericht kommt daher zu dem Ergebnis, dass die angefochtene Regelung des § 6 Abs. 2 Nr. 5 AbgG den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 11 Abs. 1 und 3 sowie Art. 3 Abs. 1 LV und der Art. 38 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 3 GG entspricht, so dass der Antrag zurückzuweisen war.
Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 3 GG wegen einer abweichenden Auslegung des Grundgesetzes war dem Gericht zufolge nicht geboten. Die sich aus der Landesverfassung für die Abgeordnetenvergütung ergebenden Maßstäbe widersprechen nicht den Maßstäben, die das Bundesverfassungsgericht für die Verfassungsrechtslage in Thüringen entwickelt hat. Da das Landesverfassungsgericht lediglich bei der Anwendung der insoweit übereinstimmenden Maßstäbe auf die konkreten Verhältnisse in Schleswig-Holstein zu einem anderen Ergebnis kommt als das Bundesverfassungsgericht in der Funktion eines Landesverfassungsgerichts für ein anderes Bundesland, ist eine Abweichung im Sinne von Art. 100 Abs. 3 GG nicht gegeben.
Das Urteil ist einstimmig ergangen.
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