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Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht und Sozialgerichte : Thema: Gerichte & Justizbehörden

Anhaltende Beschwerden nach einem Arbeitsunfall

Letzte Aktualisierung: 14.12.2018

Urteil LSG vom 11. Februar 2015 AZ: L 8 U 73/12  (PDF, 2MB, Datei ist barrierefrei)

Häufig bleiben nach einem Arbeitsunfall Beschwerden langfristig oder dauerhaft bestehen. Ob es sich dabei tatsächlich und in vollem Umfang um Folgen aus dem Unfall handelt, müssen die Richter*innen im Einzelfall abwägen. Nach welchen Kriterien sie dabei entscheiden müssen, zeigt das folgende Beispiel.

DER FALL

Ein 61-jähriger Lagerarbeiter in einem Getränkemarkt stürzt bei dem Versuch, eine Palette Wasserkisten zu ziehen, und fällt auf die rechte Seite. Er bricht sich dabei drei Rippen, arbeitet dennoch noch vier Tage weiter, bis er sich in ärztliche Behandlung begibt und für etwa drei Wochen krankgeschrieben wird.

Die Kosten für die stationäre Behandlung übernimmt die Unfallkasse, da der Unfall als Arbeitsunfall anerkannt wird.

Etwa eine Woche nach Ende der Arbeitsunfähigkeit klagt er über anhaltende Schmerzen in der rechten Schulter und begibt sich erneut zum Arzt. Es stellt sich heraus, dass zwei Sehnen im Schultergelenk vollständig gerissen sind. Auch ein Schultergelenkserguss und degenerative Veränderungen im Schultergelenk sind im MRT zu sehen.

Es folgen längere Krankschreibungen und eine Operation des Schultergelenks. Die Beschwerden bleiben jedoch dauerhaft und beeinträchtigen den Mann sehr. Er kann seinen Beruf nicht mehr vollschichtig ausüben. Für ihn ist klar, dass das alles nur Folge seines Arbeitsunfalls sein kann, denn vorher hatte er nie Probleme mit der Schulter gehabt. 

Die Unfallkasse holt ein Gutachten ein und geht anschließend davon aus, dass kein kausaler Zusammenhang zwischen den Schulterbeschwerden und dem Unfall besteht. Denn der Mann habe während seines Krankenhausaufenthalts nach dem Unfall nicht über Schulterbeschwerden geklagt und es seien keine frischen Verletzungen in der Schulter erkennbar gewesen.

Der Mann wendet sich ans Sozialgericht und macht geltend, dass ihm eine Rente wegen der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit zustehe.

DIE ENTSCHEIDUNG

Dieser Fall wurde vor dem Sozialgericht Itzehoe in 1. Instanz und vor dem Landessozialgericht in 2. Instanz verhandelt und entschieden. Beide Gerichte holten jeweils ein weiteres Gutachten zur Frage des Ursachenzusammenhangs zwischen Unfallgeschehen und jetzigen Beschwerden ein. Beide kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass es nicht als hinreichend wahrscheinlich angesehen werden kann, dass die Schulterbeschwerden ursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. So entschieden dann auch die Gerichte. Die Klage beziehungsweise die Berufung wurden zurückgewiesen.

Und was ist mit den glaubhaften Beteuerungen des Mannes, er habe vorher noch nie Schmerzen in der Schulter gehabt und könne sie erst seit dem Unfall nicht mehr schmerzfrei bewegen?

Dieses Phänomen gibt es sehr häufig im Unfallversicherungsrecht. Die Gutachter erklären das so: Häufig befinden sich in den Gelenken langsam fortschreitende degenerative Veränderungen (Altersverschleiß). Das spürt man lange nicht. Diese Gelenkveränderungen werden dann oft plötzlich symptomatisch, zum Beispiel ausgelöst durch eine Erschütterung, wie sie schon durch einen kleinen Zusammenstoß, ein Anrempeln oder eben durch einen Unfall verursacht werden kann.

Einmal ausgelöst, bleiben diese Schmerzen dann häufig für immer, verlaufen dabei oft wellenförmig, werden also mal stärker und lassen dann wieder nach. Für die Betroffenen stellt es sich dann so dar, dass das Unfallgeschehen alleiniger Auslöser für die anhaltenden Schmerzen war.

Juristisch ist aber oftmals davon auszugehen, dass die Hauptursache der Schmerzen in der sogenannten Schadensanlage bestand – in diesem Fall in dem wahrscheinlich bereits vorgeschädigten Schultergelenk. Der Unfall als auslösendes Moment stellt hingegen nur eine Gelegenheitsursache dar. Das heißt, sehr wahrscheinlich wäre die Symptomatik durch ein anderes alltägliches Ereignis ohnehin irgendwann ausgelöst worden.

DAS RECHT

Anspruchsgrundlage für eine Rente aufgrund einer durch einen Arbeitsunfall erlittenen Erwerbsminderung ist § 56 Abs. 1 SGB VII. Neben dem Vorliegen eines Arbeitsunfalls und einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ist Voraussetzung für die Rente, dass erstens zwischen der zum Zeitpunkt des Unfalls ausgeübten Tätigkeit und dem Unfall ein Kausalzusammenhang besteht und zweitens zwischen dem Unfall und der Erwerbsminderung.

Der Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Unfall war hier nicht im Streit. Bei der Frage der Kausalität zwischen Unfall und Erwerbsminderung wird zunächst geprüft, ob es den gesundheitlichen Schaden auch ohne den Unfall gegeben hätte. Diese Frage war hier eher mit nein zu beantworten – die Schmerzen hätte der Kläger zumindest jetzt wohl (noch) nicht in der Form gehabt. Allerdings muss dann noch weiter geprüft werden, ob der Unfall auch wesentlich für den Eintritt des Schadens verantwortlich war. Gibt es nämlich noch andere Ursachen - hier die degenerationsbedingte Schadensanlage -, muss beurteilt werden, welche Ursache die Hauptverantwortung für das Leiden hat. Kommt dem Unfallgeschehen dabei lediglich der Wert einer Gelegenheitsursache zu, hätten die Schmerzen also auch durch andere alltägliche Ereignisse genauso ausgelöst werden können, ist davon auszugehen, dass der Unfall nicht die wesentliche Ursache darstellt. Ein Anspruch auf eine Rente wegen des Unfallgeschehens besteht dann nicht.

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