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Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht und Sozialgerichte : Thema: Gerichte & Justizbehörden

Anspruch auf Sozialhilfe besteht erst ab dem Zeitpunkt, zu dem der Hilfebedürftige sein einzusetzendes Vermögen tatsächlich verbraucht hat – Zum einzusetzenden Vermögen zählt auch eine Sterbegeldversicherung, wenn die Versicherung vor dem Sterbefall kapitalisiert werden kann

Letzte Aktualisierung: 30.09.2020

Urteil SG Kiel, Urteil vom 19. Juli 2018, S 22 SO 27/16 (PDF, 484KB, Datei ist barrierefrei)

Im Rentenalter machen viele Menschen die Erfahrung, dass ihre Einkünfte (insbesondere die Rente) nicht ausreichen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Dies gilt insbesondere dann, wenn besondere Kosten – etwa für ein Pflegeheim – bezahlt werden müssen. Um dem Rentner – und noch häufiger: der Rentnerin – gleichwohl die Führung eines menschwürdigen Lebens zu ermöglichen, hält die im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) geregelte Sozialhilfe Unterstützungsleistungen wie beispielsweise Hilfe zur Pflege und Hilfe zum Lebensunterhalt (auch in Pflegeeinrichtungen) bereit. Während in § 1 Satz 1 SGB XII bereits das wichtige Ziel der Ermöglichung eines menschenwürdigen Daseins benannt, so findet sich gleich im folgenden Paragraphen des SGB XII der das Sozialhilferecht prägende Grundsatz vom Nachrang der Sozialhilfe. Danach erhält – vereinfacht gesagt – derjenige keine Sozialhilfe, der sich selbst helfen oder die nötige Hilfe von anderen, insbesondere von Angehörigen erhalten kann. Sozialhilfe kann auch der nicht beanspruchen, der einen Anspruch auf andere Sozialleistungen hat (z.B. gegenüber der Pflegekasse, der Krankenkasse, der Deutschen Rentenversicherung oder anderen Sozialleistungsträgern). Auch dann, wenn andere vertraglich verpflichtet sind, zu helfen, oder Unterhalt zahlen müssen, besteht kein Anspruch auf Sozialhilfe. Daher gibt es Sozialhilfe nur, wenn das eigene Einkommen nicht ausreicht, um den notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten, dafür kein ausreichendes einzusetzendes Vermögen vorhanden ist und auch kein Unterhalt oder andere Gelder beansprucht werden können. Um den vor der Möglichkeit der Beanspruchung von Sozialhilfe gesetzlich vorgesehenen Einsatz des vorhandenen eigenen Vermögens ging es in der hier besprochenen Entscheidung des Sozialgerichts Kiel vom 19. Juli 2018.

Der Fall

Die seinerzeit 80-jährige alleinstehende Klägerin erlitt im Februar 2014 einen Unfall und wurde pflegebedürftig, woraufhin sie im Anschluss an die Krankenhausbehandlung schließlich einen Platz in einem Alten- und Pflegeheim erhielt. In dem Pflegeheim verblieb sie dauerhaft und bewohnte ein Doppelzimmer. Der von der Klägerin geschlossene Vertrag mit dem Pflegeheim verpflichtete sie zur Zahlung einer monatlichen Heimvergütung in Höhe von 2.864,35 EUR. An monatlichem Einkommen, das sich aus einer monatlichen Alters-, Witwen- und Betriebsrente zusammensetzte, erzielte die Klägerin lediglich 1.530,75 EUR. Zum 31. Dezember 2014 kündigte die Klägerin den Mietvertrag über die von ihr bis zu dem Unfall im Februar 2014 allein bewohnte Wohnung.

Bereits im April 2014 hatte die Klägerin bei der Stadt Kiel als Sozialhilfeträger einen Antrag auf Übernahme der Heimpflegekosten gestellt. Es zeigte sich nun aber, dass die pflegebedürftige, aus ihrer bisherigen Wohnumgebung gerissene 80-jährige Klägerin mit der Erledigung ihrer Rechtsgeschäfte überfordert war, weshalb im Dezember 2014 ein Betreuer für sie bestellt wurde. Nachdem dieser die erforderlichen Angaben gegenüber dem Sozialhilfeträger gemacht und die erforderlichen Unterlagen vorgelegt hatte, lehnte die Stadt Kiel den Antrag der Klägerin auf Übernahme der ungedeckten Heimkosten mit Bescheid vom 27. Mai 2015 ab, weil die Klägerin über Vermögen oberhalb des Freibetrages verfüge. Im Rahmen der Vermögensprüfung berücksichtigte der Sozialhilfeträger bei der Klägerin ein vorhandenes Sparguthaben, den Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution gegen ihren früheren Vermieter und den Rückkaufswert einer Sterbegeldversicherung bei der Deutschen Beamtenversicherung Lebensversicherung in Höhe von 1.738,56 EUR. Sie verfügte außerdem über eine weitere Sterbegeldversicherung bei der Sterbegeldkasse der VVK-Angehörigen, einer Umlagekasse ohne Rückkaufsrecht. Den dort angesparten Betrag in Höhe von 2.046,00 EUR berücksichtigte die Stadt hingegen nicht als bedarfsminderndes Vermögen der Klägerin. Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies der Sozialhilfeträger, der der Kläger auf erneuten Antrag mit Wirkung ab dem 1. September 2015 Leistungen der Hilfe zur Pflege sowie eine Bekleidungspauschale bewilligt hatte, mit Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 2016 zurück.

Im Rahmen der daraufhin von der Klägerin zum Sozialgericht Kiel erhobenen Klage machte der Betreuer der Klägerin insbesondere geltend, dass der Klägerin schon ab August 2014 Sozialhilfeleistungen hätten bewilligt werden müssen, weil deren Ausgaben – auch unter Berücksichtigung der zu beanspruchenden Sozialleistungen – ihr vorhandenes Vermögen schon seinerzeit derart weitgehend aufgezehrt hätten, dass die maßgebliche Vermögensgrenze unterschritten gewesen sei.

Die Entscheidung

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 19. Juli 2018 abgewiesen und ausgeführt, dass der Klägerin im Zeitraum vom 1. April 2014 bis zum 31. August 2015 kein Anspruch auf Hilfe zur Pflege und notwendigem Lebensunterhalt in Einrichtungen in Form der Übernahme der ungedeckten Heimkosten durch den beklagten Sozialhilfeträger zugestanden habe. Zwar habe das Renteneinkommen der Klägerin in diesem Zeitraum nicht ausgereicht, um die monatlichen Heimkosten vollständig zu decken. Jedoch habe sie über einzusetzendes Vermögen verfügt, dass die seinerzeit geltende Schonvermögensgrenze überstiegen habe. Zu diesem Vermögen habe unzweifelhaft das in Höhe von 4.906,56 EUR vorhanden gewesene Sparvermögen gehört, das die Klägerin im August 2015 an die Pflegeeinrichtung ausgezahlt hatte, um die bis dahin entstandenen Heimkosten zu begleichen. Aber auch bei dem Rückkaufswert der berücksichtigten Sterbegeldversicherung bei der Deutschen Beamtenversicherung Lebensversicherung in Höhe von 1.608,37 EUR habe es sich um einzusetzendes Vermögen gehandelt, weil die Klägerin nach der Vertragsgestaltung die Möglichkeit hatte, die Versicherung zu kündigen und sich den vertraglich geregelten Rückkaufswert auszahlen zu lassen. Eine Härte würde eine Verwertung dieses Versicherungsvertrages für die Klägerin nicht bedeuten, weil sie im Falle der Kündigung des Vertrages einen Wertverlust gegenüber dem Substanzwert (d.h. den geleisteten Beiträgen) von lediglich gut sechs Prozent erlitte.

Soweit die Klägerin geltend gemacht habe, dass der Sozialhilfeträger die Vermögensentwicklung wirtschaftlich dem von der Klägerin gegenüber der Pflegeeinrichtung monatlich geschuldeten Zahlungsbetrag hätte gegenüberstellen müssen, könne dem nicht gefolgt werden. Denn bei der Berechnung eines sozialhilferechtlichen Bedarfs werde weder eine Saldierung von Aktiva und Passiva vorgenommen noch ein fiktiver Vermögensverbrauch berücksichtigt. Für beides fehle es an einer Rechtsgrundlage im SGB XII. Daraus folge, dass das Vermögen so lange zu berücksichtigen sei, wie es noch vorhanden ist und nicht bis zur gesetzlichen Schonvermögensgrenze verbraucht wurde. Es sei deshalb unerheblich, dass das Vermögen der Klägerin, wenn es ab Beginn des Heimaufenthalts oder jedenfalls unverzüglich nach Einrichtung der gesetzlichen Betreuung bis zum Freibetrag eingesetzt worden wäre, bereits deutlich vor August 2015 verbraucht gewesen wäre und dementsprechend weit vor dem 1. September 2015 ein Anspruch der Klägerin auf Übernahme der ungedeckten Heimkosten durch die Beklagte bestanden hätte.

Das Recht

Leistungsberechtigt in der Sozialhilfe sind gemäß § 19 Abs. 1 und Abs. 3 SGB XII u.a. auch pflegebedürftige Personen, wenn sie die erforderlichen Mittel aus ihrem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht aufbringen können. Dies konkretisiert den schon genannten Nachranggrundsatz des § 2 SGB XII. Im Elften Kapitel des SGB XII findet sich im Abschnitt „Vermögen“ der § 90 SGB XII, nach dessen Abs. 2 Nr. 9 die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte abhängig gemacht werden darf. Im Zeitraum bis zum 31. August 2015 betrug die daraus hergeleitete Schonvermögensgrenze nach § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch 2.600,00 EUR für eine Einzelperson. Bereits das Sparvermögen der Klägerin betrug bis zur Auflösung der Konten und Überweisung an die Pflegeeinrichtung im August 2015 4.906,56 EUR und überstieg daher die Schonvermögensgrenze.

Sterbegeldversicherungen bzw. deren Rückkaufswerte sind allerdings grundsätzlich nicht als Vermögen von der hilfebedürftigen Person zur Sicherung seines Lebensunterhalts einzusetzen. Gestützt wird dies auf § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, nach dem die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden darf, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dem Wunsch eines Menschen, für die Zeit nach seinem Tod durch eine angemessene Bestattung und Grabpflege vorzusorgen, ist danach Rechnung zu tragen, weshalb Sterbegeldversicherung in der Regel nicht verwertet werden müssen – der Sozialhilfeträger hatte im vorliegenden Fall deshalb den bei der Sterbegeldkasse der VVK-Angehörigen von der Klägerin angesparten Betrag in Höhe von 2.046,00 EUR nicht als einzusetzendes Vermögen berücksichtigt. Der Rückkaufswert der Sterbegeldversicherung bei der Deutschen Beamtenversicherung Lebensversicherung war hingegen als der Klägerin zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung stehendes Vermögen zu berücksichtigen, weil insoweit vor Eintritt des Sterbefalls für die Klägerin die Möglichkeit bestand, den Sparvertrag zu kündigen und sich das Guthaben auszahlen zu lassen. Daher war dieser Sterbegeldversicherungsvertrag wie gewöhnliches Sparguthaben zu behandeln. Sterbegeldversicherungsverträge sind daher, wie das Sozialgericht in seinem Urteil klargestellt hat, nur dann vor einer Verwertung geschützt, wenn eine objektiv nachweisbare Zweckbestimmung der Mittel allein für die Bestattung nachweisbar ist. Eine bloße subjektive Zweckbestimmung ist dagegen nicht ausreichend.

Schließlich hat das Sozialgericht dargelegt, dass das einem Hilfebedürftigen zur Verfügung stehende Vermögen solange einem Sozialhilfeanspruch entgegensteht, wie es tatsächlich vorhanden ist. Hypothetische bzw. rechnerische Verbräuche des Vermögens für bestimmte Zeiträume, in denen das Vermögen tatsächlich aber nicht zur Sicherstellung des Lebensunterhalts eingesetzt wurde (ein sog. fiktiver Vermögensverbrauch), finden im Rahmen der sozialhilferechtlichen Bedürftigkeitsprüfung hingegen keine Berücksichtigung. Insoweit hat das Sozialgericht auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 20. September 2012 zum Aktenzeichen B 8 SO 20/11 R verwiesen, in dem dieses Gericht ausgeführt hatte, dass vorhandenes, zu verwertendes und verwertbares Vermögen so lange zu berücksichtigen ist, wie es vorhanden ist und ein sog. fiktiver Vermögensverbrauch in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage ausscheiden müsse.

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