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Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht und Sozialgerichte : Thema: Gerichte & Justizbehörden

Gegenstände, die keinerlei Bezug zu einer Krankenbehandlung oder dem Ausgleich einer krankheitsbedingten Behinderung aufweisen, können im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung selbst dann nicht von der Krankenkasse beansprucht werden, wenn ihre Nutzung für eine erkrankte versicherte Person tatsächlich die Linderung von Krankheitsbeschwerden mit sich bringt

Letzte Aktualisierung: 11.01.2022

Sozialgericht Schleswig, Urteil vom 30. März 2021, S 28 KR 150/20 (PDF, 104KB, Datei ist barrierefrei)

Neben der ärztlichen und zahnärztlichen Behandlung durch Vertragsärzte oder der stationären Behandlung in einem Krankenhaus, der Versorgung mit Arzneimitteln und Heilmitteln (z.B. Krankengymnastik, Ergotherapie), der medizinischen Rehabilitation (ambulant und ggf. auch stationär) und der Zurverfügungstellung von häuslicher Krankenpflege und bei Bedarf auch Haushaltshilfe zählt die Versorgung von Versicherten mit Hilfsmitteln zu einer ganz wesentlichen Aufgabe der Krankenkassen als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Das Sozialgesetzbuch benennt in seinem Fünften Buch (SGB V), in dem das Recht der GKV geregelt ist, ausdrücklich Hörhilfen, Körperersatzstücke (Prothesen), orthopädische Hilfsmittel und Sehhilfen als Hilfsmittel. Es zieht den Kreis der in Betracht kommenden Hilfsmittel dann aber auch gleich noch sehr viel weiter, indem der Umfang des Leistungsanspruchs auch schlicht auf „andere Hilfsmittel“ ausgedehnt wird. Dies erscheint einerseits sinnvoll, sind doch Zahl und Beschaffenheit der am Markt angebotenen Hilfsmittel noch größer und vielgestaltiger als die zugrundeliegenden Krankheitsbilder und die daraus für die Betroffenen erwachsenden Funktionseinschränkungen selbst. Andererseits ist zu beachten, dass die Leistungspflicht der Krankenkassen im Hilfsmittelbereich auch nicht vollkommen uferlos ausgedehnt werden soll. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die technischen Möglichkeiten, die Hilfsmittel in der heutigen hochtechnisierten und digitalisierten Zeit ihren Nutzern zu bieten vermögen, als auch im Hinblick auf die Kosten, die mit der Beschaffung von – insbesondere über eine hohe Leistungsfähigkeit und zahlreiche, häufig elektronische Funktionen verfügenden – Hilfsmitteln verbunden sind. Eine in dieser Hinsicht bestehende Begrenzung der Leistungspflicht der GKV ist bereits im SGB V selbst angelegt, denn der dortige § 12 Abs. 1 Satz 1 formuliert für alle Leistungen, dass diese ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Weitergehend verdeutlicht Satz 2 der Vorschrift ausdrücklich, dass Versicherte nicht notwendige oder unwirtschaftliche Leistungen nicht beanspruchen können, die Leistungserbringer (wie z.B. Sanitätshäuser oder Optiker) solche Leistungen nicht bewirken und Krankenkassen solche nicht notwendigen oder unwirtschaftlichen Leistungen nicht bewilligen dürfen. Dabei sollte man sich stets vor Augen halten, dass es bei einem Streit um die Zurverfügungstellung eines Hilfsmittels im Endeffekt um die Abgrenzung der Eigenverantwortung der versicherten Person (und dem Einsatz eigenen Geldes für den Erwerb des gewünschten Gegenstandes) von der öffentlichen bzw. der Verantwortung der Solidargemeinschaft für die Gesundheit des Einzelnen geht. Anders gewendet: Sollte die GKV gesetzlich nicht verpflichtet sein, eine versicherte Person mit einem bestimmten Hilfsmittel zu versorgen, ist die Person regelmäßig nicht daran gehindert, sich das Hilfsmittel gleichwohl selbst zu beschaffen. Für die Kosten dieser Beschaffung hat sie dann allerdings selbst einzustehen – und nicht ihre Krankenkasse. Dies gilt auch für den nachfolgenden Fall.

Der Fall

Die gesetzlich krankenversicherte Klägerin leidet an einer Anhidrose. Der Körper der Klägerin ist auch bei hohen Umgebungstemperaturen nicht in der Lage, zu schwitzen. Dies führt bei der Klägerin dazu, dass sie nach eigenen Angaben an heißen Tagen gezwungen ist, sich kalte Kompressen um den Hals und um die Arme zu binden und die Zeit vor einem Ventilator zu verbringen. Zudem, so die Klägerin im Verwaltungsverfahren, steige ihr Blutdruck an solchen Tagen, blutdrucksenkende Arzneimittel könnten das nicht verhindern. Sie befürchte dann, einen Gehirnschlag zu erleiden, und erwache vor Hitzetagen in der Regel des nachts mit Herzrasen und Panikzuständen. Hitzetage stellten für sie „reinen Horror“ dar, sie fühle sich dann, als würde sie innerlich verbrennen. Wegen dieser Beschwerden beantragte die Klägerin bei ihrer Krankenkasse die Versorgung bzw. den Einbau einer Klimaanlage in die von ihr bewohnte Wohnung, wobei lediglich die Klimatisierung eines Raumes erforderlich sei, in den sie sich an heißen Tagen zurückziehen könne. Dem Antrag fügte die Klägerin einen Kostenvoranschlag eines Installationsbetriebes über Anschaffung und Einbau einer Klimaanlage für einen Raum ihrer Wohnung zu einem Gesamtpreis von 3.894,04 EUR bei. Die beklagte Krankenkasse lehnte diesen Antrag ab und wies auch den dagegen von der Klägerin erhobenen Widerspruch zurück. Bei der Klimaanlage handele es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, der nicht der Leistungspflicht der GKV auf dem Hilfsmittelsektor unterfalle. Dagegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Schleswig und machte geltend, dass jedenfalls im Wege einer Einzelfallentscheidung die Beklagte verpflichtet sei, ihr die gewünschte Klimaanlage zur Verfügung zu stellen. Denn die Klimaanlage weise zumindest – neben der allgemeinen Kühlfunktion – bei ihr einen beschwerdelindernden Effekt auf und ermögliche ihr überhaupt erst, mit der Anhidrose ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Die Entscheidung

Die Klage war nicht erfolgreich. Das Sozialgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die beklagte Krankenkasse zu Recht davon ausgegangen sei, dass es sich bei der Klimaanlage um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele und die Klägerin die Anschaffung und den Einbau des Geräts deshalb nicht von der GKV als Hilfsmittel beanspruchen könne. Es handele sich bei Klimaanlagen nicht um Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse von Kranken oder Menschen mit Behinderungen hergestellt würden und ausschließlich – oder doch ganz überwiegend – von diesem Personenkreis genutzt würden; Klimaanlagen würden vielmehr regelmäßig (auch) von gesunden Menschen benutzt. Aufgabe der Anlagen sei es, sowohl in Wohn- und Arbeitsräumen, als auch in Verkehrsmitteln ein angenehmes Raumklima zu schaffen, indem die Raumluft auf eine bestimmte Temperatur abgekühlt und auf dieser Temperatur gehalten würde – eine irgend geartete therapeutische Wirkung sei bei der Herstellung einer Klimaanlage nicht intendiert. Deshalb könne die Klägerin einen Anspruch auf Beschaffung und Installation der Klimaanlage auch nicht aus der zu anti-allergenen Matratzen- und Kissenbezügen sowie zu einem Lese- und Sprechgerät für einen PC ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) herleiten. Denn diesen Gegenständen – anti-allergenen Bettbezügen und besonderen Lesegeräten für die Bedienung eines Computers – sei immer auch ein gewisser Anteil im Herstellungsprozess immanent, der gerade darauf gerichtet sei, gesundheitlichen Beschwerden von erkrankten und/oder behinderten Menschen Abhilfe zu verschaffen. Ein solcher Anteil sei bei einer Klimaanlage nicht auszumachen.

Das Recht

Der Anspruch von Versicherten auf Versorgung mit Hilfsmitteln ist – neben dem bereits eingangs erwähnten Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V – im Grundsatz durch drei Beschränkungen limitiert: Zwei dieser Beschränkungen finden sich schon in der anspruchsbegründenden Grundnorm des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln (der Anspruch auf Sehhilfen ist in § 33 Abs. 2 – 4 SGB V näher ausgestaltet), die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Hier war bereits der Ausschlussgrund der Eigenschaft des von der Klägerin begehrten Hilfsmittels als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens erfüllt. Nach der Rechtsprechung des BSG sind darunter Gegenstände zu verstehen, die schon von ihrer Konzeption her nicht vorwiegend für den Einsatz durch kranke oder behinderte Menschen gedacht sind und die regelmäßig auch von Gesunden genutzt werden (BSG, Urteil vom 29. April 2010, B 3 KR 5/09 R, FEVS 62, 193 ff.; BSG, Urteil vom 16. September 1999, B 3 KR 1/99 R, BSGE 84, 266 ff.). Dass Klimaanlagen darunterfallen, ist einigermaßen offensichtlich, so dass die Klägerin mit ihrem Begehren nicht erfolgreich sein konnte. Der in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V in Bezug genommene § 34 Abs. 4 SGB V beinhaltet die Ermächtigung an das Bundesgesundheitsministerium (BMG), durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis zu bestimmen, deren Kosten die Krankenkasse nicht übernimmt. Davon hat das BMG mit der Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der GKV vom 13. Dezember 1989 (BGBl. I, S. 2237, zuletzt geändert durch Verordnung vom 17. Januar 1995, BGBl. I, S. 44) Gebrauch gemacht. Als sächliche Mittel mit geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen sind dort u.a. Kompressionsstücke für Waden und Oberschenkel, Knie- und Knöchelkompressionsstücke, Handgelenkriemen und Handgelenkmanschetten sowie Applikationshilfen für wärmende und kühlende Mittel benannt. An sächlichen Mitteln mit geringem Abgabepreis finden sich dort beispielsweise Augenklappen, Brillenetuis und Gummihandschuhe. Solche Gegenstände können ebenfalls nicht von der GKV verlangt werden, sondern fallen in die finanzielle Eigenverantwortung der/des Versicherten.

Eine dritte Anspruchsbegrenzung wird durch § 33 Abs. 1 Satz 4 SGB V bewirkt, wonach § 92 Abs. 1 SGB V für nicht durch § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ausgeschlossene Hilfsmittel unberührt bleibt. Dahinter verbirgt sich ein Verweis auf die nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V vom Gemeinsamen Bundesausschuss der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen erlassene Hilfsmittel-Richtlinie. In dieser finden sich vom Gemeinsamen Bundesausschuss aufgestellte medizinische Voraussetzungen, die im Einzelfall erfüllt sein müssen, damit ein Arzt ein bestimmtes Hilfsmittel verordnen darf. Diese Voraussetzungen konkretisieren den Leistungsanspruch von in der GKV Versicherten auf Hilfsmittelversorgung nach dem SGB V (vgl. beispielhaft für Sehhilfen: BSG, Urteil vom 23. Juni 2016, B 3 KR 21/15 R, NZS 2016, 863 ff.). Besonders ausführliche Regelungen enthält die Hilfsmittel-Richtlinie für Seh- und Hörhilfen, es finden sich hier aber auch allgemeine Grundsätze der Hilfsmittelversorgung, z.B. was gelten soll, wenn ein Hilfsmittel doppelt begehrt wird.

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