Kinder leben mitten in der Welt und damit mitten in einer Kultur, in einer Gesellschaft und im politischen Geschehen. Dem Bildungsbereich "Kultur, Gesellschaft und Politik" geht es darum, den Kindern zu ermöglichen, das Zusammenleben mit anderen aktiv zu gestalten.
Kultur
Kultur als Hintergrund aller Bildungsprozesse ist schon in der Querschnittsdimension Interkulturelle Orientierung beschrieben worden. Kinder sind in kulturelle Abläufe und Riten eingebunden, sie beobachten genau, wie die Welt um sie herum gestaltet ist. So erwerben sie nach und nach Weltwissen über das, was für sie fortan selbstverständlich sein wird: Was richtig – was falsch, was schön – was hässlich, was vertraut – was fremd ist, was schmeckt – was nicht schmeckt, was wichtig – was unwichtig ist. Im Rahmen der kulturellen Bildung erwerben Kinder Orientierungen, die auch künftige Bildungsprozesse beeinflussen: über das Verhältnis der Geschlechter, über Normen und Werte, über kulturelle Ausdrucksformen und vieles mehr. Was Kultur ausmacht, merkt man häufig erst, wenn die eigenen kulturellen Selbstverständlichkeiten auf andere Selbstverständlichkeiten stoßen – auf eine andere Kultur. Aber auch die eigene Kultur befindet sich ständig im Wandel. Was für die Großeltern noch selbstverständlich war, ist es heute nicht mehr. Vor allem die Medien haben in einer globalisierten Welt dazu beigetragen, dass kulturelle Selbstverständlichkeiten in der Gesellschaft sich ändern, Unterschiede sich vermischen. Die kulturelle Ausrichtung der Aneignungsprozesse des Kindes ist gleichzeitig mit einer Verengung der Wahrnehmung und der Bildungsprozesse verbunden. Dies wird zum Beispiel deutlich im Bereich der Sprache. Die Einengung der Wahrnehmung auf die Inhalte, die kulturell in der eigenen Gesellschaft von Bedeutung sind, ist für die weiteren Bildungsprozesse der Kinder unabdingbar.
Gesellschaft
Mit dem Begriff Gesellschaft wird allgemein die Form des Zusammenlebens von Menschen in einem bestimmten Territorium oder einem "Kulturkreis" bezeichnet, die immer auch historisch und kulturell bestimmt ist. Gesellschaft begegnet Kindern in Gemeinschaften außerhalb der Familie (der Kindertageseinrichtung, dem Sportverein, der Schule). Hier können Kinder erfahren, wie solche Gemeinschaften sich organisieren, was sie geben und was sie fordern. Hier können sie lernen, ihre eigenen Einflussmöglichkeiten zu erfahren und Verantwortung zu übernehmen. Gesellschaftliches Engagement beginnt in Kindertageseinrichtungen.
Politik
Die Gestaltung des Zusammenlebens geschieht durch die Politik. Unterschiedliche Interessen und Ziele werden politisch (zum Beispiel in bestimmten Gremien) entschieden. In einer Demokratie wird Politik verstanden als gleichberechtigtes, freies Diskutieren und Aushandeln von gemeinsamen Entscheidungen der Bürgerinnen und Bürger in Öffentlichkeiten und direkten wie repräsentativen Verfahren und Gremien. Politikwissenschaftler (vergleiche Himmelmann 2005) unterscheiden dabei zwischen dem Aspekt der Politik als Herrschaftsform (Wie sind Macht und Entscheidungsprozesse in einem Staat organisiert?), Politik als Gesellschaftsform (Wie organisiert sich eine Gesellschaft zum Beispiel in ihren Institutionen und Vereinen?) und Politik als Lebensform (Inwiefern bestimmt Demokratie auch das alltägliche Handeln, zum Beispiel in einer Kindertageseinrichtung?). In einer multikulturellen Gesellschaft stellen die unterschiedlichen Selbstverständlichkeiten, Erfahrungen und Vorstellungen vom Zusammenleben auch Anforderungen an Kinder und ihre Familien. Wenn diese Themen in Kindertageseinrichtungen bewusst wahrgenommen und gestaltet werden, können sich Kinder Kompetenzen im Umgang damit schon früh aneignen.
Kultur begegnet den Kindern in der Auseinandersetzung mit Bildern, Musik, Geschichten genauso wie in der Sprache oder im sozialen Leben. Was ist bei uns (in meiner Familie, in der Kindertageseinrichtung, in unserem Ort) üblich? Was finden wir schön, richtig, bedeutsam?
Andere Kulturen
Die Begegnung mit anderen Kulturen kann die Begegnung mit anderen Ethnien sein. Wie sieht der Alltag von türkischen oder kurdischen Kindern, in deutschen oder italienischen Familien aus? Wer hat dort etwas zu sagen? Welche Musik oder welches Essen mögen sie? Wer gehört zur Familie? Kinder erfahren aber auch innerhalb der "deutschen Kultur" sehr unterschiedliche Selbstverständlichkeiten.
Organisation von Gemeinschaften
Wenn Kinder in unterschiedlichen Gemeinschaften leben, nehmen sie Unterschiede wahr. In der Familie, im Turnverein und in Kindertageseinrichtungen gelten unterschiedliche Regeln. Kinder setzen sich mit ihren Handlungsmöglichkeiten in diesen Gemeinschaften auseinander.
Demokratie
Schon in der Familie erleben Kinder, wie Entscheidungen zustande kommen. Wenn ihnen hier Mitspracherechte eingeräumt werden, können sie erste Erfahrungen mit Demokratie machen. Diese erweitern sie später in teilöffentlichen Räumen – der Kindertageseinrichtung, der Turngruppe.
Geschichte
Geschichte begegnet Kindern zunächst durch Geschichten – über ihre Eltern und Großeltern. Aber auch viele Themen und Spiele, die sie faszinieren, haben historische Inhalte: Dinosaurier, Prinzessinnen und Ritter, Indianer. So können Kinder früh erfahren, dass sie in zeitliche Dimensionen eingebunden sind.
Themen der Welt
Vor allem durch die Medien begegnen Kinder schon früh auch überregionalen politischen Themen. Themen, die Erwachsene erschüttern, bleiben auch vor den Kindern nicht verborgen: die Bilder der Zerstörungen, die ein Tsunami angerichtet hat, ein terroristischer Anschlag, Krieg.
Verantwortung
Das Interesse für die Welt um sie herum ist schon früh damit verbunden, Verantwortung übernehmen zu wollen. Kinder wollen helfen und durch ihr Handeln etwas zur Gemeinschaft beitragen – sie decken den Tisch, füttern das Kaninchen, passen auf den kleinen Bruder auf. Sie erklären anderen Kindern, welche Regeln im Werkraum gelten, sind für das Säubern des Aquariums zuständig oder engagieren sich im Kinderrat. Sie fragen auch nach der Verantwortung für globale Themen.
Kindertageseinrichtungen sind selbst Teil der Kultur, Gesellschaft und Politik. Sie sind für die Kinder häufig der erste Ort, an dem sie außerhalb ihrer Familie oder Verwandtschaft längere Zeit des Tages verbringen. Sie sind (pädagogisch geschützte und gestaltete) öffentliche Räume, in denen Kinder Erfahrungen mit Kultur, Gesellschaft und Politik machen können. Das gelingt besonders dann, wenn Kindertageseinrichtungen als demokratische Gemeinschaften gestaltet sind, als Gemeinschaften, die Kinder mitgestalten können. Die Aneignung der Themen in diesem Bildungsbereich wird insbesondere durch die Berücksichtigung der folgenden Aspekte unterstützt:
Die eigene Kultur reflektieren
Kinder in diesem Bildungsbereich begleiten zu können, setzt voraus, dass sich die pädagogischen Fachkräfte mit ihrem eigenen Begriff von Kultur und Gesellschaft auseinander gesetzt haben. Dies ist für Viele zunächst ungewohnt. Auch pädagogische Fachkräfte setzen sich häufig erst dann mit kulturellen Fragen auseinander, wenn sie anderen kulturellen Selbstverständlichkeiten begegnen: Musik, die sie nicht verstehen, Essen, das ihnen fremd ist, einem Frauen- oder Männerbild, das ihrem eigenen widerspricht, anderen Religionen.
Die kulturelle Vielfalt gestalten
In Kindertageseinrichtungen können sich unterschiedliche Kulturen begegnen, was als Chance für Bildungserfahrungen genutzt werden kann. Dafür muss die Begegnung unterschiedlicher Kulturen wahrgenommen und gestaltet werden.
Die Kindertageseinrichtung als Gesellschaft im Kleinen gestalten
In Kindertageseinrichtungen erleben Kinder, wie eine Gemeinschaft außerhalb der Familie verfasst ist und funktioniert. Hier begegnen ihnen interne Strukturen (zum Beispiel die verschiedenen Kindergruppen oder offene Strukturen), Menschen in verschiedenen Rollen (die pädagogische Fachkraft, die Leitung, die Hauswirtschafterin, der Hausmeister), wie auch Regeln, die den Alltag bestimmen. Pädagogische Fachkräfte können sich mit Kindern über die Gestaltung der "Gesellschaft Kindertageseinrichtung" verständigen.
Wege in die größere Gesellschaft zeigen
Kindertageseinrichtungen können Kindern auch Wege in die größere Gesellschaft vor Ort eröffnen – wenn die pädagogischen Fachkräfte die Querschnittsdimension der Sozialraumorientierung in ihrer Arbeit umsetzen. Kinder besuchen den Bäcker um die Ecke oder das Rathaus, sie übernehmen Patenschaften für einen Spielplatz oder planen ein Stadtteilfest mit. Pädagogische Fachkräfte können dazu beitragen, dass Kinder auch außerhalb ihrer Einrichtungen Erfahrungen mit der Gestaltung öffentlicher Räume machen. Wenn sie mit ihren Kindern öffentlich wahrgenommen werden, bewirken sie vielleicht auch, dass Kinder in der Öffentlichkeit wieder stärker sichtbar werden.
Themen der Welt nicht ausklammern
Pädagogische Fachkräfte sind mit der Frage konfrontiert, wie sie Themen, die Erwachsene erschüttern, in Zusammenarbeit mit Müttern und Vätern in Kindertageseinrichtungen aufgreifen. Was brauchen Kinder, um die Eindrücke und Bilder von Kriegen und Umweltkatastrophen verarbeiten zu können? Womit sind sie überfordert?
Das eigene Verhältnis zur Politik /Demokratie reflektieren
Die Auseinandersetzung mit Politik ist für viele pädagogische Fachkräfte ungewohnt, ja verunsichernd. Politik wird nach wie vor gleichgesetzt mit parteipolitischem Handeln und der Besetzung politischer Ämter. Wie auch in anderen Bildungsbereichen werden vermutete Wissenslücken über das Thema (hier Politik) schnell zum Hemmnis, sich mit dem Thema überhaupt auseinander zu setzen. Demokratisches Handeln lernt man aber vor allem durch eigene Erfahrungen in demokratischen Gemeinschaften.
Kindertageseinrichtungen als demokratische Gemeinschaften gestalten
Schon Kinder setzen sich damit auseinander, wie Entscheidungen gefällt werden, wie Machtverhältnisse verteilt sind (Wer ist der Bestimmer?). Wenn Kindertageseinrichtungen als demokratische Gemeinschaften gestaltet sind, können Kinder viel über demokratisches politisches Handeln im Kleinen erfahren und sich darin üben. Dabei geht es um die Frage, welche demokratischen Strukturen in der Einrichtung vorhanden sind, wie Entscheidungen gefällt werden und ob und wobei Kinder mitbestimmen dürfen. Erfahrungen im Umgang mit diesem Bildungsbereich können Kinder vor allem dann machen, wenn Kindertageseinrichtungen als demokratische Gemeinschaften gestaltet werden, in denen Kinder als Aushandlungspartner ernst genommen werden, die Kindertageseinrichtung also als „Kinderstube der Demokratie“ begriffen wird (vergleiche Hansen, Knauer, Friedrich 2004).
Über Erziehung nachdenken
In diesem Bildungsbereich spielen die Erziehungsvorstellungen der Erwachsenen eine entscheidende Rolle: Bildung basiert immer auch auf den Vorstellungen, die Erwachsene von der Welt von morgen haben. Welche Gesellschaft wünschen wir uns für unsere Kinder?
Ein Blick auf die Null- bis Dreijährigen
Auch Kinder unter drei Jahren beschäftigen sich schon mit Kultur, Gesellschaft und Politik – wenn sie dieses auch noch nicht in Begriffe fassen können. Sie erleben, wie die Menschen in der Kindertageseinrichtung miteinander umgehen, ob sie mit ihren Wahrnehmungen, Ideen und Interessen geachtet werden oder nicht. Bildungsprozesse zu diesen Themen werden für diese Altersgruppe in erster Linie dadurch unterstützt, dass die Erwachsenen sich bemühen, mit den Kindern in einen gleichwertigen Dialog zu kommen: Wird den Zweijährigen ihre eigene Zeit fürs An- und Ausziehen zugestanden? Warten die Erwachsenen geduldig, wenn ein Dreijähriger nach Worten ringt?
Ein Blick auf die Schulkinder
Für Schulkinder wird auch die kommunale Öffentlichkeit immer wichtiger. In kommunalen Projekten und Partizipationsverfahren können sie ihre Ideen und Wünsche zunehmend selbständiger einbringen, wenngleich auch Kinder dieses Alters dabei noch Begleitung und gegebenenfalls Vermittlung durch pädagogische Fachkräfte brauchen.
Für Pädagogen
Pädagogische Fachkräfte können Kinder in diesem Bildungsbereich insbesondere fördern, indem sie
den verschiedenen Kulturen neugierig und achtsam begegnen
die Kommunikation mit Kindern gleichwertig gestalten
die Gedanken und Verhaltensweisen der Kinder zunächst akzeptieren und sie dabei unterstützen, sich mit ihren Verhaltensweisen in der Kindertageseinrichtung zurecht zu finden
die Organisation der Gemeinschaft im Team und mit den Kindern reflektieren
die Kindertageseinrichtung als demokratische Gemeinschaft gestalten
Beteiligungsrechte von Kindern strukturell verankern
mit den Kindern im Gemeinwesen aktiv sind
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