Kinder beschäftigen sich schon früh mit Sinnfragen. Sie fragen nach gut und böse, nach richtig und falsch, nach dem Warum. Sie stellen in ihrem Alltag immer wieder ethische, religiöse und philosophische Fragen. Diese stehen in engem Zusammenhang und können nicht voneinander getrennt behandelt werden. Dem Bildungsbereich "Ethik, Religion und Philosophie" geht es darum, den Kindern zu ermöglichen, sich Wertorientierungen anzueignen und sich Fragen zu stellen, die auf etwas zielen, was jenseits des Begreifbaren zu liegen scheint.
Ethik
Ethik beschäftigt sich mit der Frage, wie Handlungen, deren Motive und Folgen zu bewerten sind. Was sind Maßstäbe für unser Handeln? Wodurch werden unsere Entscheidungen beeinflusst? Ethik geht es nach Immanuel Kant um die Frage: "Was soll ich tun?" Damit beschäftigt sich Ethik mit grundlegenden Werten des Menschen (hier gibt es enge Verbindungen zur Religion), die die Grundlage für konkrete Normen und Regeln sind. Auch Kinder beschäftigen sich bereits mit ethischen Fragen. Einen großen Einfluss auf die Aneignung zentraler Werte und die Übernahme von Normen und Werten haben Bindungspersonen. Wie sie die Auseinandersetzung der Kinder mit ethischen Fragen begleiten, beeinflusst den Aufbau moralischer Kategorien durch die Kinder.
Religion
Religion beschäftigt sich mit dem Glauben, mit der Frage nach Gott oder dem Göttlichen, mit Spiritualität, mit der Frage, ob es etwas jenseits des Begreifbaren gibt. Religiöse Fragen beschäftigen alle Kinder, insbesondere dann, wenn sie sich mit Dingen beschäftigen, die sie mit ihrem herkömmlichen Wissen nicht erklären können. Die erste Begegnung mit Religion machen viele Kinder in ihren Familien. Diese gehören christlichen Religionen an, dem Islam, dem Hinduismus, dem Buddhismus, dem Judentum. Kinder können auch in nicht-religiösen Familien aufwachsen.
Philosophie
Philosophie meint Weisheitsliebe, forschendes Fragen und Streben nach Erkenntnis. Damit beginnt das Philosophieren mit dem Staunen. Da ist etwas, über das man nachdenken muss, das sich einem nicht sofort erklärt, das ein Geheimnis in sich birgt. Philosophieren heißt, Fragen an die Welt zu stellen. "Gesetzt in eine Welt voller Geheimnisse, lebt das Kind die Begegnung mit sich selbst und mit der Welt zuerst wie selbstverständlich; es ‚kennt’ noch nicht die Welt, auch nicht sich selbst. Beim Philosophieren mit Kindern ereignet sich Erkennen: Das, was einfach, ganz ‚natürlich’ da war, kann nun auch gedanklich ‚erfahren’ werden", stellt Wieacker-Wolff (2002 Seite 139) fest. Phänomene staunend wahrzunehmen und nach Erkenntnis zu suchen – in der Aneignung ist der Prozess des Philosophierens dem des sich Bildens gleichzusetzen. "Also Alltagswissen, scheinbar Selbstverständliches kritisch hinterfragen, Reflexion und Selbstreflexion betreiben, sich darüber mit anderen argumentativ austauschen, darin besteht für mich vor allem das Philosophieren", meint Horster (1992 Seite 12). Die Auseinandersetzung mit ethischen, religiösen oder philosophischen Fragen in Kindertageseinrichtungen kann zu einer differenzierten Entwicklung von Werten und Normen beitragen.
Kinder und Ethik, Religion und Philosophie
"Richtig" und "Falsch"
Die Auseinandersetzung mit "richtig" und "falsch" ist für Kinder schon früh bedeutsam. Kinder suchen in den Antworten ihrer Bindungspersonen nach Orientierung. Ethische Maßstäbe können Kinder nur dann entwickeln, wenn sie gemeinsam mit anderen darüber nachdenken können, was ihnen "richtig" oder "falsch" erscheint, und wenn sie mit ihren Gedanken dabei ernst genommen werden. In der Auseinandersetzung mit den Perspektiven anderer können Kinder nach und nach zu differenzierten Beurteilungsmaßstäben kommen.
Gerechtigkeit
Kinder beschäftigen sich immer wieder mit Fragen von Gerechtigkeit. Während diese Fragen zunächst vor allem in Bezug auf die eigene Person thematisiert werden, übertragen Kinder ihre Erfahrungen zunehmend auch auf globalere Themen wie Reichtum und Armut, Frieden und Krieg. Damit stellen sie Fragen, die das Leitprinzip der Nachhaltigkeit berühren.
Religion(en)
Begegnung mit der Religion ist auch die Begegnung mit der Frage nach Gott (Wer ist Gott? Wo ist Gott?). In der Begegnung mit anderen Religionen lernen Kinder, dass Glaube sich unterschiedlich ausdrücken kann und unterschiedlich gelebt wird. Sie werden sich ihrer religiösen Herkunft bewusst und können zu einer positiven Identifikation mit dem Glauben der eigenen Religion finden. Dabei lernen sie zentrale Elemente des christlich-abendländischen Kulturkreises und anderer Traditionen kennen und beschäftigen sich mit der sinnstiftenden Bedeutung von Religion und Glauben für sich selbst und die Menschen in ihrem Lebensumfeld. Kinder begegnen Religion und Glauben an vielen Stellen: in der Familie, in der Kirche, beim Tischgebet, beim Gottesdienst. Sie feiern religiöse Feste, entdecken sakrale Räume, religiöse Kunst und Musik als Orte und Ausdruck der Erfahrung von Kontemplation, Gemeinschaft, Geborgenheit, Geheimnissen, Wundern, Meditation und der Begegnung mit Gott. Indem das Kind nach Erklärungen für Unerklärbares sucht, indem es Religiosität bei Erwachsenen erlebt, kann das Kind eine eigene religiöse Haltung entwickeln.
Staunen und Fragen
Das Philosophieren beginnt mit dem Staunen. Kinder sind eifrige Frager und finden, wenn man ihnen den Raum lässt, ganz eigenständige, manchmal erstaunliche, Antworten. Sie erleben vieles zum ersten Mal und haben noch nicht die Routinen und Erklärungen, auf die wir Erwachsene häufig zurückgreifen. Was uns Erwachsenen längst "klar" ist, ist für Kinder noch fraglich und gibt einen Anlass, Fragen zu stellen. Kinder stellen viele Fragen und erleben, wie Erwachsene darauf reagieren – ob sie Fragen als störend empfinden, für alles eine Antwort parat haben oder gemeinsam mit ihnen staunend auf die Suche gehen.
Denken
Dem Staunen folgen das Miteinander-Denken und die Suche nach eigen-sinnigen Antworten. Warum regnet es? – Weil die Blumen Durst haben. Warum haben wir einen Bauchnabel? – Damit man weiß, wo die Mitte ist. Kommt der Kanarienvogel in den Himmel, wenn er stirbt? – Ja, in den Vogelhimmel. Gemeinsam fragen Kinder nach dem Sinn und finden vorläufige Antworten, mit denen sie sich im Leben zurechtfinden.
Die Aneignung der Themen in diesem Bildungsbereich wird besonders durch die Berücksichtigung der folgenden Aspekte unterstützt:
Die eigenen Haltungen klären
Dieser Bildungsbereich fordert die pädagogischen Fachkräfte in besonderer Weise, sich mit ihren eigenen Haltungen, ihrem Glauben und ihren philosophischen Fragen auseinanderzusetzen und ihre eigene religiöse oder nicht-religiöse Biografie zu reflektieren. Vor allem im Dialog über ethische und religiöse Themen fragen Kinder auch nach den Haltungen der pädagogischen Fachkräfte. Was würdest du tun und warum? Woran glaubst du? Um eine eigene Haltung entwickeln zu können, brauchen Kinder Erwachsene, die selbst eigene Haltungen haben, über diese mit den Kindern in einen Dialog treten und den Kindern gleichzeitig eigene Haltungen und Perspektiven zugestehen.
Dialoge offen gestalten
Kinder können sich diese Themen am besten aneignen, wenn die pädagogischen Fachkräfte den Dialog mit ihnen immer wieder offen gestalten: Ich denke so – wie denkst du? Mir ist dieses wichtig – was ist dir wichtig?
Zugänge zum Glauben und zur Spiritualität eröffnen
Wenn die pädagogischen Fachkräfte mit Kindern darüber sprechen, woran sie glauben, welche Werte ihnen wichtig sind, wenn sie mit ihnen Orte des Glaubens (Kirchen, Synagogen, Moscheen) besuchen, eröffnen sie den Kindern die Möglichkeit, eigene Zugänge zu diesen Themen zu finden. Religion ist nicht nur ein Thema konfessioneller sondern aller Kindertageseinrichtungen.
Religiöse Fragen gemeinsam mit Eltern thematisieren
In den Familien der Kinder können religiösen Fragen sehr unterschiedliche Bedeutungen beigemessen werden. Für die Auseinandersetzung mit Religion und Glauben in der Kindertageseinrichtung ist es daher hilfreich, religiöse Fragen auch gemeinsam mit den Müttern und Vätern zu thematisieren.
Mit Kindern philosophieren
Hierbei geht es nicht darum, Kinder Philosophie zu lehren, sondern Kindern Räume zum eigenen Philosophieren zu eröffnen (Philosophieren von Kindern) und gemeinsam mit ihnen zu philosophieren (Philosophieren mit Kindern). Vor allem im Prozess des gemeinsamen Philosophierens treten die pädagogischen Fachkräfte als Ko-Konstrukteure mit den Kindern in einen Dialog.
Ein Blick auf die Null- bis Dreijährigen
Schon Säuglinge nehmen bei der Entdeckung der Welt immer auch die Reaktionen der anderen (ihrer Bindungspersonen) wahr. In der Übernahme des Verhaltens von Erwachsenen entwickeln sich erste Vorstellungen von Werten und Normen. Wenn pädagogische Fachkräfte das eigensinnige Verhalten der Kinder zu verstehen suchen und anerkennen, unterstützen sie diese darin, Wertvorstellungen zu entwickeln.
Ein Blick auf die Schulkinder
Eine der zentralen Fragen von Kindern im Schulalter ist: "Was ist gerecht?" Da dieses Alter gleichzeitig durch eine größere Bedeutung der Gleichaltrigengruppe gekennzeichnet ist, wird die Aufgabe, etwas gerecht auszuhandeln, zu einer wichtigen Herausforderung für Schulkinder. In der Peergroup der Kindertageseinrichtung können Kinder sich im Aushandeln üben. Pädagogische Fachkräfte können diese Aushandlungsprozesse unterstützen, indem sie Kindern Freiräume zugestehen, ihre Dinge selbst zu regeln (ohne sie dabei allein zu lassen).
Für Pädagogen
Pädagogische Fachkräfte können Kinder in diesem Bildungsbereich insbesondere fördern, indem sie
sich ihre eigenen Beurteilungsmaßstäbe bewusst machen und mit Kindern darüber in einen Dialog treten
mit Kindern gemeinsam Regeln aushandeln und Begründungen für Regeln suchen
sich im Dialog mit den Kindern, Eltern und im Team mit Fragen nach dem Sinn beschäftigen
sich mit Fragen nach Gott und der Welt auseinandersetzen
sich mit den wichtigsten Aspekten der Weltreligionen auseinandersetzen, besonders mit dem Christentum und dem Islam
Phänomene in der Natur und der Kultur wahrnehmen und darüber staunen
mit Kindern philosophieren
Hinweis zur Verwendung von Cookies
Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Weitere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den folgenden Link: