Hunde als „Türöffner“ für psychisch belastete Kinder
Franca Tüshaus ist Diplom-Psychologin und arbeitet seit 2004 mit emotional belasteten Kindern und Jugendlichen im stationären Bereich. 2007 begann sie, sich für tiergestützte Interventionen zu interessieren und integrierte ab 2012 ihren englischen Cocker Spaniel „Snorre“ in ihre Arbeit in der Kinderklinik des UKSH am Campus Lübeck. Auf der psychosomatischen Station für Kinder und Jugendliche, auch „die Insel“ genannt, waren die Beiden sechs Jahre lang als Team in der hundegestützten Therapie tätig.
Je nach dem, in welchem Bereich der Hund eingesetzt wird, sind nicht nur rassespezifische Eigenschaften wichtig, sondern auch das individuelle Tier. Darauf haben die Aufzuchtbedingungen sowie die Sozialisation in den ersten zwei Lebensjahren einen bedeutenden Einfluss. Entscheidend ist, dass der Hund menschenbezogen und aggressionsarm ist und dass er gerne gestreichelt und berührt werden mag. Er darf weder ängstlich noch scheu oder besonders schreckhaft sein und muss über Wesensfestigkeit sowie eine stabile Bindung zu seinem Hundeführer verfügen. Ideal ist zusätzlich, wenn der Hund, wenig zum Bellen neigt und keinen ausgeprägten Jagdtrieb hat. Der Hund sollte eine hohe Stresstoleranz, eine eher hohe Reizschwelle und einen guten Grundgehorsam besitzen.
Wie wird ein Hund zum Therapiehund?
Mit einer speziellen Ausbildung zum Therapiebegleithunde-Team. In der Ausbildung werden Hund und Hundeführer stets gemeinsam ausgebildet. Die Ausbildung besteht aus einem praktischen und einem theoretischen Teil. Der Hundeführer lernt unter anderem viel über die Kommunikation und das Verhalten von Hunden, Tierschutzrichtlinien, Risiko- und Hygienemanagement, juristische Fragestellungen, erste Hilfe am Hund und Menschen etc. Besonders wichtig ist, die Stress-Signale des eigenen Hundes zu erkennen und richtig zu interpretieren, um eine Überforderung des Tieres zu vermeiden. Der Ausbildungsteilnehmer erhält zahleiche, konkrete Impulse wie die Interaktion mit Klienten spielerisch gestaltet werden kann. Auf den Hund kommen in der Ausbildung vielfältige Konfrontationsübungen zu, um ihn an unterschiedliche Einsatzbereiche zu gewöhnen, seine Stresstoleranz zu überprüfen und das Vertrauen zum Hundeführer zu stärken. In unbekannten Situationen wird Gelerntes und guter Grundgehorsam abgefragt. Beispielsweise begegnen die Hunde im Rahmen der Ausbildung Menschen, die im Rollstuhl sitzen, Gehhilfen nutzen, ungewöhnliche Laute machen oder durch Spastiken abrupte Bewegungen ausführen. Ebenso wird der Hund mit unsanften oder hektischen Berührungen konfrontiert.
Welche Voraussetzungen müssen in einer Einrichtung herrschen, um eine tiergestützte Therapie zu ermöglichen?
Wichtig ist, dass im Vorfeld ein gutes Hygiene- und Risikomanagement, in enger Kooperation mit der Klinikleitung, Justiziariat und der Hygienefachkraft, erarbeitet wird. Bei uns durfte der Hund beispielsweise nur das Erdgeschoss der Klinik betreten und sich dort in zwei Räumen aufhalten, die speziell gereinigt wurden. Somit war das Tier von Patientenzimmern und Küche getrennt, die sich auf einer anderen Ebene des Gebäudes befinden. Jeder Patient und seine Sorgeberechtigten werden bei der Aufnahme über die hundegestützte Therapie in einem Aufklärungsgespräch informiert und auf das „Tierrestrisiko“ hingewiesen. Per Unterschrift willigen sie der Teilnahme, die auf freiwilliger Basis erfolgt, explizit ein. Vor der Teilnahme überprüft ein Kinderarzt, ob Kontraindikationen vorliegen (z.B. Tierhaarallergie, Immunschwäche) und ob der Impfstatus des Patienten ausreicht (Tetanus).
Der Hund muss regelmäßig dem Tierarzt vorgestellt, geimpft und gegen Parasiten behandelt werden und haftpflichtversichert sein. Zum Schutz des Hundes müssen in der Klinik Tierschutzrichtlinien eingehalten werden, d.h. der Hund muss immer Wasser zu trinken und Rückzugsmöglichkeiten haben. Er darf nur in einem sehr begrenzten Umfang pro Woche eingesetzt werden.
Was unterscheidet einen tierischen Therapeuten von einem menschlichen?
Tiere können eine Nähe geben, die ich als Therapeut nur begrenzt geben darf, da ich eine gewisse „therapeutische Distanz“ aufrechterhalten muss. Es ist außerdem wissenschaftlich erwiesen, dass in Anwesenheit eines Hundes körperliche Stressparameter (z.B. Puls und Blutdruck) sinken und dass durch die Berührung des Hundefells Endorphine und das „Bindungshormon“ Oxytocin ausgeschüttet werden. Der Körperkontakt mit dem Hund beruhigt, gibt Sicherheit und spendet manchmal Trost.
Oft ist ein problematisches Verhalten Anlass, um therapeutische Hilfe aufzusuchen. Wichtig ist es, gleichzeitig die Ressourcen eines Patienten im Blick zu behalten. In der hundegestützten Therapie gelingt dieses häufig. Tiere haben oft die Möglichkeit, die Stärken eines Patienten aufzuzeigen. Die Patienten erleben sich als selbstwirksam.
Ein weiterer Aspekt hierbei ist, dass ein Hund nicht mit Worten spricht. Viele unserer Patienten haben ein sehr geringes Selbstwertgefühl und große Angst davor, negativ kritisiert zu werden. Ein Hund hat keine Vorurteile. Dem Hund ist es egal, wie jemand aussieht oder welche Schwierigkeiten er hat. Er nimmt den Patienten so an, wie er ist. Bedingungslos und wertfrei.
Eine weitere besonders wertvolle Eigenschaft: Ein Hund spiegelt die Stimmung des Patienten unmittelbar. Es gibt keinen „doppelten Boden“, keine verschleierten Botschaften. Ein Hund kommuniziert immer ganz klar, analog, direkt. Viele unserer Patienten halten lange Zeit eine Fassade aufrecht. Innerhalb der hundegestützten Therapie ermöglicht ihnen der Kontakt mit dem Hund, teilweise wieder authentisch Gefühle zuzulassen und sich emotional zu öffnen.
Was passiert in der Therapiesitzung konkret?
Für die hundegestützte Therapie auf unserer psychosomatischen Station in Lübeck entwickelte ich zuletzt ein Konzept kombiniert aus gelenkter und ritualisierter Interaktion. Zwei Patienten treten dabei als Kleingruppe mit dem Hund einmal wöchentlich in Kontakt (insgesamt 5 Therapieeinheiten). Ohne dass der Hund am Anfang im Raum ist, füllen die Patienten einen Stimmungsbogen aus und planen die bevorstehende Therapieeinheit inhaltlich gemeinsam. Die Patienten wählen ein bis drei Übungen aus und bereiten ihre Durchführungen vor (z.B. Parcours mit Hindernissen, Tricks oder Leckerli-Such-Spiele). Nach dem Begrüßungsritual mit dem Hund probieren die Patienten die zuvor gewählten Übungen mit dem Hund aus. Ich unterstütze Hund und Patienten, angepasst an den Bedarf. Nach einem Abschiedsritual mit dem Hund gibt es ein mündliches und schriftliches Feedback von den Patienten, was zur Verbesserung ihrer Selbstwahrnehmung beiträgt. Gemeinsam wird die Sitzung reflektiert. Wenn möglich, versuche ich anzuregen, die Erfahrungen aus der Begegnung mit dem Tier, auf andere Lebensbereiche zu übertragen. Es geht also einerseits um den direkten Kontakt zwischen Patient und Tier, andererseits um einen Transfer in andere Alltagssituationen außerhalb der hundegestützten Therapie.
Wieso ist tiergestützte Therapie gerade bei Kindern und Jugendlichen so erfolgreich?
Anders als Erwachsene, die sich in Therapie begeben, ist das Besondere an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, dass sie oft keinen Leidensdruck oder eine Veränderungsmotivation verspüren. Ihre Lebenssituation empfinden sie teilweise selbst gar nicht als problematisch. Vielmehr fühlen sich unsere Patienten oft von Eltern, Lehrern, Ärzten oder Therapeuten „geschickt“ und beginnen eine stationäre Behandlung mit ambivalenten Gefühlen, manchmal auch mit Ängsten. Für uns Therapeuten ist daher der wichtigste erste Schritt, eine gute Beziehung zu unseren Patienten aufzubauen und eine Motivation für eine Verhaltensänderung zu wecken. Ohne eine ausreichende Behandlungsmotivation kann eine therapeutische Intervention nicht nachhaltig wirksam sein. In diesem Zusammenhang können Tiere einen großartigen Einfluss auf die Kinder und Jugendlichen haben. Der Umgang mit ihnen bringt vielen Patienten ein „Stück Normalität“ und ein „Gefühl von Zuhause“ und Vertrautheit in die ungewohnte, noch fremde Klinikumgebung.
Ein weiterer Aspekt ist, dass wir manchmal zu traumatisierten Patienten schwerer Zugang finden, weil sie zuvor negative Erfahrungen mit Menschen gemacht haben. Wissenschaftlich ist erwiesen, dass sich unsichere Bindungserfahrungen oft in den Bindungsmustern zu Menschen wiederholen, nicht aber auf Tiere übertragen werden. In diesem Fall kann ein Hund eine wertvolle Rolle als „Türöffner“, „Brücke“ oder „Eisbrecher“ einnehmen, der Ängste abbaut und Vertrauen weckt. Anfangs läuft die Kontaktaufnahme eher indirekt ab und konzentriert sich auf den Beziehungsaufbau zwischen Hund und Kind. Im weiteren Therapieverlauf kann ich über den Kontakt mit dem Hund einen Zugang zu dem Patienten finden und daraufhin überhaupt erst mit meiner therapeutischen Arbeit beginnen.
Können Sie von einem konkreten Erfolgserlebnis aus ihrer Erfahrung erzählen?
Aus meiner Sicht gab es viele Erfolgserlebnisse in der hundegestützten Therapie. Bei fast allen Patienten war zu beobachten, dass sie emotional auflockerten, mehr Mimik und Gefühle zeigten, erstmalig wieder lächelten, oft antriebsstärker und kommunikationsbereiter wurden und sich als selbstwirksam erleben konnten. Im Kontakt mit Snorre fingen viele Kinder und Jugendliche wieder an, eine spielerische Leichtigkeit zu entwickeln, unbeschwerter zu interagieren und einfach wieder Spaß zu haben. Häufig berichteten mir Patienten von der für sie positiven Ablenkung durch den Kontakt mit dem Hund. Für einen Augenblick können sie dadurch ihre Sorgen vergessen. Depressive Kinder und Jugendliche sind zudem oft überfordert damit, selbständig Entscheidungen zu treffen. Auch das gelang ihnen zunehmend besser im Rahmen der hundegestützten Therapie.
Ein sehr berührender Moment ereignete sich mit einer jugendlichen Patientin, die in ihrem Leben schon viele Beziehungsabbrüche erlebt hatte, zeitweise auch außerhalb ihres Elternhauses lebte. Eines Tages fragte sie mich, ob ich denke, dass Snorre wisse, dass er ein Therapiehund sei. Ich selbst hatte mir diese interessante Frage bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gestellt und fragte die Patientin, was sie denn meine. Sie entgegnete, sie glaube schon, dass Snorre sich seiner Aufgabe bewusst sei. Auf meine Frage nach dem Grund für ihre Annahme, sagte die Jugendliche: „Weil er mir gezeigt hat, dass ich wertvoll bin.“
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