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Thema : Gesundheitsversorgung

Adipositas - "Vorbild sein: Kontrolliert und bewusst essen"

Dr. Petra Schulze-Lohmann ist seit 1996 Sektionsleiterin und wissenschaftliche Leiterin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. Sektion Schleswig-Holstein (DGE). Die DGE ist die Fachgesellschaft in Deutschland für Fragen der Ernährung beziehungsweise für vollwertiges Essen und Trinken. Die Ökotrophologin weiß, wo sich Kalorien verstecken und kämpft für eine gesunde Ernährung in Schleswig-Holstein.

Letzte Aktualisierung: 20.03.2015

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leben über 300 Millionen Menschen weltweit mit Adipositas. Allein in den letzten zehn Jahren war ein Anstieg von 10 bis 14 Prozent zu verzeichnen. Auch in Schleswig-Holstein nimmt das Übergewicht zu. Wo sehen Sie die Hauptgründe?

Als wesentliche Ursachen sind zum einen der Bewegungsmangel der Kinder und zum andere natürlich die Ernährung zu nennen. Hier sind die Gründe eigentlich allen bekannt: Die verzehrten Speisen haben eine viel zu hohe Kaloriendichte. Zudem essen viele Menschen ständig. Die Nahrungsaufnahme richtet sich nicht mehr nach Hunger und Sättigung, sondern die überall präsenten Angebote verführen zum Essen. Problem bei dieser dauerhaften Nahrungsaufnahme ist unser Stoffwechsel, der darauf einfach nicht eingerichtet ist. Eine effektive Fettverbrennung findet in den Phasen statt, in denen keine Nahrung aufgenommen wird und demzufolge der Insulinspiegel niedrig ist. Werden aber ständig Kalorien nachgeliefert, kann der Insulinspiegel nicht sinken und statt Fett zu verbrennen wird immer mehr angelagert.

Auch die Zahl der adipösen Kinder steigt. Unterscheiden sich die Ursachen?

Nein, die Ursachen sind die gleichen. Auch hier stehen sowohl der Bewegungsmangel als auch die häufigen und kalorienreichen Mahlzeiten im Vordergrund. Zudem wird auch heute noch vielen Kindern vorgegeben, was und welche Mengen sie zu essen haben. Der Bewegungsmangel stellt sicherlich ein ebenso großes Problem dar. Viele Kinder werden bereits am Morgen mit dem Auto zur Schule gefahren, mittags wieder abgeholt und dann vor der Spielkonsole oder dem PC abgesetzt. Sollten sie doch einmal zum Sport gehen, wird bereits nach dem Kinderturnen im Umkleideraum die Tupperdose mit Salzstangen, Gummibärchen und kleinen Brötchen ausgepackt, damit die armen ausgehungerten Zwerge auch möglichst schnell wieder die verlorenen Kalorien zurück bekommen.

Ist der Body-Mass-Index (BMI) der einzige Faktor, auf den man achten sollte, oder gibt es beim Thema Körpergewicht noch andere Dinge zu beachten?

Der BMI berechnet zunächst einmal nur die Körpermasse, aber nicht die Fettmasse. Demzufolge gibt er auch nur einen ersten Hinweis darauf, ob sich das Körpergewicht in einem vernünftigen Bereich bewegt. Aber wenn Sie zum Beispiel den BMI eines Bodybuilders berechnen, würde dieser vermutlich mit einer Adipositas Grad III belegt werden, obwohl sein hohes Gewicht durch Muskel- und nicht durch Fettmasse hervorgerufen wird. Die von der WHO grob eingeteilten Gewichtsklassen gelten für Kinder und Jugendliche nicht, da es hier noch zu altersbiologischen und geschlechterspezifischen Veränderungen kommt. Spezielle Werte dafür findet man zum Beispiel bei der Arbeitsgemeinschaft Adipositas. Zudem kann, um die Fettmasse im Körper festzustellen, die sogenannte Bioimpedanzanalyse bemüht werden. Im Grunde reicht in den meisten Fällen auch der Blick in den Spiegel: Liegt die Fettansammlung eher im Bereich von Hüfte und Oberschenkel (“Birnentyp“) ist dieses gesundheitlich erheblich weniger bedenklich als bei einer Fettansammlung im Bereich des Bauches (“Apfeltyp“), weil hier das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen deutlich ansteigt.

Eine gesunde Ernährung ist der Grundstein, um Übergewicht zu vermeiden. Welche Grundregeln sind ratsam?

Man sollte kontrolliert und mit Genuss essen. Nicht auf dem Weg zum Bus, beim Stadtbummel oder an der Tankstelle schnell etwas kaufen, weil es gerade angeboten wird. Dazu gehört es auch, sich für Mahlzeiten Zeit zu nehmen, damit man die Sättigungssignale des Körpers wahrnimmt. Dabei ist es ratsam, Gemüse, Obst und Vollkornprodukte auf den Speisezettel zu setzen. Gemüse und Obst haben extrem wenig Energie, liefern aber reichlich Nährstoffe. Vollkornprodukte sättigen deutlich länger und sind neben der Prävention von Übergewicht auch ein Schutz vor diversen ernährungsbedingten Erkrankungen.

Besonders bei der „Außerhaus-Verpflegung“ findet man viele versteckte Kalorien in Form von Dressings, Soßen sowie panierten und frittierten Speisen. Gleiches gilt für Getränke. Sie sollten vornehmlich aus Wasser und ungesüßtem Tee oder Kaffee bestehen. Erfrischungsgetränke wie Limonade und Säfte, lösliche Cappuccino- und Kaffeeprodukte und natürlich auch das Modegetränk Bubble-Tea enthalten sehr viel Zucker, den man „nebenbei“ konsumiert. Weitere Fallen sind zum Beispiel große Vorratshaltung oder der hungrige Einkauf im Überfluss des Supermarktes.

Wie kann Wissen um gesunde Ernährung besser vermittelt werden und wen sehen Sie da in der Pflicht?

Hier brauchen wir viele Akteure. Verhaltens- und Verhältnisprävention sind Schlagworte, die an dieser Stelle immer fallen. Erste Kontaktpersonen sind natürlich immer die Eltern, die die Verpflichtung haben, ihre Kinder bestmöglich aufwachsen zu lassen. Dazu gehört natürlich auch, ein vernünftiges Essverhalten zu vermitteln, wobei hier nicht die „Lehr“- sondern die „Vorbildfunktion“ im Vordergrund stehen muss. Kindergärten und Schulen stellen wenig später einen Aufenthaltsort dar, an dem häufig nicht nur mehrere Mahlzeiten eingenommen, sondern auch Wissen zur Ernährung vermittelt wird. In den meisten Kindertagesstätten in Schleswig-Holstein wird in Projekten schon einiges an Wissen vermittelt. In den Schulen gibt es zwar durchaus Ansätze, aber die Ernährung zieht sich nicht als roter Faden durch die Jahrgänge. Einen hilfreichen Schritt stellt mit Sicherheit die in Flensburg bereits etablierte Ausbildung für Lehrkräfte in dem Fach Verbraucherbildung dar. Generell problematisch ist bei der Verpflegung von der Kita bis zur Kantine, dass immer häufiger eine Warmverpflegung angeboten wird. Diese entspricht häufig nicht dem, was wir als DGE als Qualitätsstandards empfehlen. Auch die Politik ist hier gefragt, geeignete Projekte zu fördern und für die Bevölkerung attraktiv zu machen. Die Problematik des Übergewichts ist schon lange bekannt. Wenn alle sich hier gemeinschaftlich dazu bekennen, mit geeigneten Maßnahmen gegen zu steuern, kann man auch etwas erreichen. Ich würde zum Beispiel für Schleswig-Holstein gerne die Umsetzung des Qualitätsstandards für Kitas und Schulen als verbindlich – und am besten in Betriebskantinen sowie Krankenhäusern und Rehakliniken als dringend empfehlenswert – erklären. Für das Gesundheitsland Schleswig-Holstein würde ich mir ein solches Vorgehen sehr wünschen.

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