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Thema : Maßregelvollzug

 Typische Krankheitsbilder von Patienten/-innen im Maßregelvollzug

Viele Menschen fragen sich, unter welchen Bedingungen Straftäter/-innen in den Maßregelvollzug kommen. Hier können Sie anhand von fünf Gruppen typischer Krankheitsbilder mehr darüber erfahren.

Letzte Aktualisierung: 30.11.2022

Die Reihenfolge der dargestellten Gruppen orientiert sich an der Anordnung im ICD-10 des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) und spiegelt nicht die Prävalenz der Krankheiten wider.

Unter Sucht versteht man das unbeherrschbare Verlangen, den zwanghaften Drang eines Menschen, regelmäßig eine bestimmte Substanz (z. B. Alkohol, Drogen, Medikamente) zu konsumieren oder eine bestimmte Tätigkeit (z. B. Glückspiele, Computerspiele) wieder auszuführen, obwohl sich dadurch die Person selbst und/oder andere schädigt.

Die Ursachen für Suchtverhalten sind vielfältig.  Im Grunde verfügt jeder Mensch über "süchtige" Anteile. Bei den Menschen, bei denen sie zur Sucht führen, spielen vor allem psychische und soziale Bedingungen eine Rolle, ebenso wie Erziehung, Kindheitserfahrungen, Persönlichkeit und Veranlagung.

Keine Person wird plötzlich süchtig. Vielmehr entwickelt sich Abhängigkeit nach und nach, über mehrere Stadien: Die positiven Wirkungen eines Suchtmittels werden genutzt. Es entsteht Missbrauch, Gewohnheit, schließlich psychische und/oder körperliche Abhängigkeit (Suchterkrankung). Bei Wegfall des Suchtmittels können körperliche und psychische Entzugssymptome, die von der Art des Suchtstoffes, der gewohnten Dosis und persönlichen Faktoren abhängig sind, entstehen. Starkes Schwitzen, Frieren, Zittern, Kopfschmerzen, körperliche und innere Unruhe, Störungen der Konzentration und Aufmerksamkeit, Reizbarkeit, depressive Verstimmungen und Schlafstörungen sind einige dieser Entzugssymptome. Bei langandauerndem Konsum können zudem u. a. Organschäden (Leber, Lunge, Magen, Darm, Herz), Hauterkrankungen, Venenentzündungen, Zahnschäden, Nervenschädigungen (Kribbeln in Händen und Füßen, Taubheitsgefühl) entstehen.

Sowohl die akute Vergiftung (Intoxikation) als auch das Entzugssyndrom können gefährliche bis lebensbedrohliche Ausmaße annehmen. Überdosierungen sowie chronischer Missbrauch führen häufig zu massiven, nicht mehr rückgängig zu machenden Organschäden, bleibenden Störungen von Gehirnfunktionen sowie zu ebenfalls nicht oder nur teilweisen Rückgang von psychischen Symptomen wie z.B. Psychosen, Manien, Depressionen, Angststörungen, die im Extremfall in körperliche und/oder geistige Behinderung (Intelligenzminderung) münden können.

Im Maßregelvollzug befinden sich alkohol-, drogen- oder medikamentenabhängige Patienten/-innen, wobei nicht selten eine Polytoxikomanie, d. h. eine Abhängigkeit von mehreren verschiedenen Suchtstoffen, z. B. Drogen, Alkohol und Medikamenten, vorliegt. Bei den illegalen Drogen stehen Substanzen mit sehr unterschiedlichen Suchtpotentialen wie Heroin, Kokain/ Crack, LSD, Cannabis, Pilze, „Badesalze“, Amphetamine (Speed/Crystal Meth) und Ecstasy im Vordergrund. Neben der Suchterkrankung finden sich bei den Patienten/-innen häufig weitere psychische Erkrankungen wie Persönlichkeitsstörungen, Psychosen (z.B. Schizophrenie) und Neurosen (z. B. Angststörungen).

Schizophrenie

In der Bevölkerung tritt die Schizophrenie vergleichsweise häufig auf: in Deutschland sind rund 400.000 Menschen betroffen (DGPPN, 2019). Die Ausprägung und der Schweregrad der schizophrenen Symptomatik kann sehr stark variieren. Allgemein wird zwischen Positiv- und Negativsymptomen unterschieden. Unter den Positivsymptomen ist eine Art Übersteigerung des normalen Erlebens zu verstehen. Dazu gehören starke Fehlinterpretationen der erlebten Wirklichkeit bis hin zu Halluzinationen und Realitätsverlust.  Schizophrenien mit überwiegend positiven Symptomen beginnen oft plötzlich, und oft gibt es vorher keine nach außen auffälligen Merkmale. Charakteristische Positivsymptome sind inhaltliche Denkstörungen, Ich-Störungen, Sinnestäuschungen und innere Unruhe. Typisch für die inhaltlichen Denkstörungen ist die Wahnvorstellung. Zu den Ich-Störungen zählen: Gedankeneingebung: Erleben der eigenen Gedanken als von anderen aufgezwungen. Gedankenausbreitung: Vorstellung, andere könnten die eigenen Gedanken „abhören“ oder „mitlesen“. Gedankenentzug: Verlustgefühl, dass andere die eigenen Gedanken stehlen oder abschneiden. Fremdsteuerung: Gefühl, von anderen wie ein ferngelenkter Roboter gesteuert zu werden.

Negativsymptome (oder Minussymptome) bezeichnen Einschränkungen des normalen Erlebens sowie von psychischen Funktionen, die früher vorhanden waren, aber durch die Krankheit reduziert sind oder ganz fehlen. Diese Symptome stellen also einen Mangel gegenüber dem gesunden Zustand dar. Z.B. mangelhafte Aufnahme von Emotionen (Affekten), Verarmung an Emotionen (sog. Affektverflachung), verminderte Aktivitäten im Alltag, Wortkargheit, sozialer Rückzug, Interessenlosigkeit, Teilnahmslosigkeit bis hin zur Perspektivlosigkeit u.v.m. Von Ich-Störungen spricht man auch, wenn sich jemand von Außenkräften gesteuert und beeinflusst fühlt. Häufig kapseln sich Betroffene immer mehr ab, leben in einer eigenen Wirklichkeit, hören möglicherweise Stimmen, die es nicht gibt, und nehmen ihre Umgebung als zunehmend bedrohlich und feindselig wahr.

Patienten, die an einer Psychose leiden, sind häufig nicht in der Lage, ihren Zustand als Erkrankung zu begreifen. Im Verlauf einer medikamentösen Behandlung der Schizophrenie kann völlige Symptomfreiheit erzielt werden. Es gibt aber auch Verläufe, die zu schweren dauerhaften Krankheitszuständen führen. Mit einer individuell angepassten medikamentösen Behandlung lassen sich die Symptome bei ca. 2/3 der betroffenen Menschen deutlich positiv beeinflussen. Zum Einsatz kommen Neuroleptika. Das sind Medikamente, die das gestörte Gleichgewicht zwischen den Botenstoffen im Gehirn wiederherstellen. Weitere wichtige Hilfen sind soziotherapeutische Maßnahmen, Psychoedukation (d. h. (Gruppen)Therapien zum Aufbau eines Krankheitsverständnisses) und eine psychotherapeutische Begleitung. 

Viele an Schizophrenie Erkrankte leiden auch (komorbid) an anderen Erkrankungen, wie z.B. Alkohol – und Drogenmissbrauch, Depression, Posttraumatische Belastungsstörung, Angststörungen oder Zwängen.

Affektive Störungen (Depression, Manie, manisch-depressive Erkrankung)

Depressionen gehören bei unterschiedlicher Erscheinungsform und unterschiedlichem Ausprägungsgrad zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Unter den Diagnosen im Maßregelvollzug spielen sie dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Hauptsymptome sind eine gedrückte Stimmung, Interessenverlust, allgemeine Freudlosigkeit und eine Verminderung des Antriebs. Es lassen sich vielfach eine verminderte Konzentrationsfähigkeit, ein eingeschränktes Selbstwertgefühl, Schlafstörungen sowie Suizidgedanken und auch Suizidhandlungen feststellen.

In einem gewissen Anteil der Depressionen treten mehr oder weniger ausgeprägte Wahnsymptome auf (zum Beispiel Versündigungswahn, Verarmungswahn usw.), bei einem weiteren Anteil depressiver Erkrankungen ist neben den beschriebenen Symptomen eine manische Komponente feststellbar. Hierbei ist eine deutliche Steigerung des Antriebs feststellbar, wobei in extremen Fällen die Störung ein Ausmaß annehmen kann, bei dem der Betroffene überbordend und zum Teil für seine Umwelt als sehr schwer erträglich erlebt wird. Manische Phasen sind häufig geprägt von totaler Selbstüberschätzung, Größenwahn und hektischen Aktivitäten, die aber nie zu Ende gebracht werden.

Bei manisch-depressiven Patienten pendelt der Gemütszustand zwischen der Depression und der Manie hin und her.

Ebenso wie bei der Schizophrenie bleibt festzuhalten, dass depressive Erkrankungen durch mehrere Faktoren bedingt sind und häufig sowohl genetische als auch Umweltfaktoren in Kombination zusammenkommen. Zur Behandlung von Depressionen eignen sich Medikamente, die sogenannten Antidepressiva. Darüber hinaus sind häufig psychotherapeutische Verfahren sinnvoll. Sehr wichtig bei der Behandlung dieser Erkrankung ist die soziale und psychische Unterstützung durch Angehörige, Freunde und Partner. 

Persönlichkeitsstörungen

Eine Persönlichkeitsstörung liegt vor, wenn ein Mensch durch seine Persönlichkeit sich selbst in seiner sozialen Stabilität und seinem Wohlbefinden und/oder seine Umgebung massiv beeinträchtigt.

Auffällige Persönlichkeitszüge zeigen sich häufig bereits in der Kindheit; diagnostiziert werden darf eine Persönlichkeitsstörung aber erst ab dem 18. Lebensjahr. Oft wird die Fähigkeit, Gefühle bei sich und/oder anderen wahrzunehmen, diese zu unterscheiden und kontrollieren zu können, vermindert oder nicht ausgebildet. Es sind tief verwurzelte Fehlentwicklungen im Denken, Erleben und Verhalten eines Menschen und in seiner Fähigkeit, eigene Impulse zu kontrollieren. Häufig sind schwierige Familiensituationen oder schwere Traumatisierungen wie sexueller Missbrauch dieser Störung vorausgegangen. Persönlichkeitsstörungen sind nur bedingt medikamentös und vorwiegend langjährig psychotherapeutisch zu behandeln.

Persönlichkeitsstörungen treten in unterschiedlichen Formen auf. Im Maßregelvollzug relevant sind vor allem die dissoziale Persönlichkeitsstörung, die emotional instabile Persönlichkeitsstörung und die narzisstische Persönlichkeitsstörung. Nicht selten gehen sie einher mit einer Störung der Sexualpräferenz.

Störung der Sexualpräferenz (Paraphilien)

Unter dieser Bezeichnung werden Störungsbilder verstanden, bei denen die betroffenen Personen unter abweichenden sexuellen Impulsen leiden. Zu solchen Paraphilien, die überwiegend Männer betreffen, gehört zum Beispiel die ausschließliche oder überwiegende sexuelle Erregbarkeit mit und/oder durch Gegenstände/n wie z.B. Schuhe, Strümpfe, Wäsche etc. (sog. "Sexueller Fetischismus") oder die Vorliebe, frauentypische Kleidungsstücke zu tragen (z.B. Seidenstrümpfe und Dessous), weil dies als sexuell erregend erlebt wird (sog. "Transvestitischer Fetischismus"). Weiter gehört zu dieser Gruppe z.B. das Erleben sexueller Erregung durch das Ausüben oder Erdulden von Macht und Ohnmacht, Dominanz und Unterwerfung sowie durch das Beibringen oder Erleiden von Schmerzen (sog. "Sexueller Sado-/Masochismus").

Auch die sexuelle Erregbarkeit durch vorpubertäre (oder auch pubertäre) Kinderkörper (sog. "Pädophilie") gehört zur Gruppe der Paraphilien. Gleiches gilt für die Neigung, zur eigenen sexuellen Erregung andere Menschen in intimen Situationen gezielt zu beobachten (sog. "Voyeurismus") sowie für den Drang, die eigenen Genitalien vor anderen zu entblößen bzw. zu präsentieren und ggf. dabei zu masturbieren (sog. "Exhibitionismus").

Im Maßregelvollzug werden insbesondere auch Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung komorbid mit einer sexuellen Präferenzstörung (z.B. Pädophilie, Sadismus u.a.) behandelt.

Intelligenzminderung

Unter Intelligenzminderung (früher geistige Behinderung) versteht man angeborene oder in frühen Lebensjahren erworbene Formen eingeschränkter kognitiver Leistungsfähigkeit. Man unterscheidet die leichte (IQ: 50 – 69), mittelgradige (IQ: 35 – 49), schwere (IQ: 20-34) und schwerste Intelligenzminderung (IQ unter 20). Einschränkungen betreffen in verschiedenen Ausprägungen die Sprache, die Motorik, das Denken oder die sozialen Fähigkeiten. Bei Maßregelvollzugspatienten/-innen mit einer Intelligenzminderung ist nicht selten zusätzlich die soziomoralische Entwicklung gestört. Die mit der Intelligenzminderung einhergehende Verhaltensstörung ist nicht selten Ursache der verübten Straftat.

Die Intelligenzminderung als solche kann nicht verändert werden. Die therapeutischen Ansätze zielen darauf, die soziomoralische und soziale Entwicklung der Patientinnen und Patienten zu fördern und die von den Patienten ausgehende Gefahr so weit zu reduzieren, dass ein straffreies Leben in Freiheit (oft in einem spezialisierten Wohnheim) möglich wird.

Eine erfolgreiche Behandlung und Rehabilitation dient zugleich sowohl der Wiedereingliederung der Patienten und Patientinnen in die Gesellschaft als auch der Sicherheit der Bevölkerung.

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